Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
12.07.2013 Freising

Rede anlässlich des Kulturempfangs der Stadt Freising

von Agnes Krumwiede MdB, kulturpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Damen und Herren,

ursprünglich sollte ich heute für Sie Klavier spielen, aber seitdem mein Sohn vor vier Monaten auf die Welt kam, beschränkt sich mein pianistisches Repertoire höchstens auf Kinderlieder. Deshalb besteht mein Beitrag für Sie heute in einer Rede zur Kulturpolitik. Wenn Sie sich jetzt trotzdem lieber Musik wünschen, habe ich dafür natürlich Verständnis:

Musik ist als Kommunikationsform der Sprache weit überlegen. Sie ist eindringlicher und direkter. Aber damit Musik sich frei entfalten kann und damit wir in unserer Gesellschaft die Musik hören, spielen und komponieren können, die uns gefällt – dafür ist das politische Klima entscheidend. Deshalb bin ich der Ansicht, dass es keine unpolitische Kunst gibt. An der Musikhochschule Würzburg war ich in meinem Studiengang die einzige, die Mitglied einer Partei war. Als Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung war ich die einzige Pianistin. Für mich sind Musik, Kunst und Politik eine Symbiose. Weil die Vorbereitung einer Rede in etwa genauso viel Zeit und Leidenschaft in Anspruch nimmt wie die Vorbereitung einer Musikinterpretation, hoffe ich, dass Ihnen mein Beitrag gefällt, etwas zum Nachdenken und zum Weiterdenken für Sie dabei ist und Sie sich in zwanzig Minuten nicht wünschen: „Hätte sie doch einfach ihre Klappe gehalten und Klavier gespielt.“

Angesichts des aktuellen Datenskandals möchte ich die Wirkung von politisch freien und unfreien Systemen auf die Kultur veranschaulichen. Wenn wir die Geschichte betrachten, ist ein Wesenszug undemokratischer Staatsformen die Überwachung der Bevölkerung, verursacht durch das Misstrauen der Herrschenden. Die absolute Kontrolle, die Gleichschaltung von Denken und Handeln ist symptomatisch für Diktaturen. Ist die Überwachungspraxis der USA und GB mit „Stasimethoden“ vergleichbar?

Ein Unterschied besteht in dem Argument der Terrorabwehr und dem Schutz der Bevölkerung. Das begründet jedoch nicht eine anlasslose staatliche Überwachung, die den geschützten Freiraum des Denkens und der Kommunikation bedroht, die Freiheit, sich zu bewegen und zu kommunizieren. Diese Freiheit müssen wir uns bewahren. Ein Klima des Misstrauens und des Generalverdachts ist schädlich für Demokratien. Genügend Beispiele zeigen, dass Überwachung Misstrauen und Angst fördert und dadurch ein Nährboden für Gewalt erst entsteht.

Zu den zentralen Elementen von Demokratien gehört die Freiheit der Kunst. In totalitären Staaten gibt es keine freien Künste.
Ob in der deutschen Geschichte, in Afghanistan, in China oder im Iran:

Die ersten gesellschaftlichen Gruppen, denen es an den Kragen geht, wenn Diktaturen ihre Macht durchsetzen, sind Künstler und Intellektuelle. Die inhaltliche Regulierung von Kunst und Kultur geht oft einher mit der gezielten Vernichtung von Kulturgütern und dem Kaltstellen unbequemer Künstlerinnen und Künstler. Eine entscheidende Frage ist: Welche Bedrohung für unfreie Staatssysteme geht von der Kunst eigentlich aus? Es sind Bilder, Romane, Filme, Theater und auch Musik, die Meinungen transportieren, die das Denken von Menschen verändern und gesellschaftliche Gruppen mobilisieren können. Die Ausdrucksmittel der Kunst versuchen, auch in einem engen Korsett staatlicher Regulierung Mittel und Wege zu finden, um gesellschaftliche und politische Missstände anzuprangern. In Ketten auf dem Vulkan tanzen – dieses Bild beschreibt anschaulich die Kunst des Widerstandes von Komikern, Schauspielern, Literaten und Komponisten – oft mit einschneidenden Konsequenzen.

Ich bin der festen Überzeugung: Freiheit für das Individuum ist nur möglich in einem System, das nicht alle Bereiche staatlich kontrolliert. Dazu gehört: Eine freie, vielfältige Presselandschaft, die freie Entfaltung von Kunst und Kultur und Freiräume für die private Kommunikation.
Die Freiheit von Kunst und Kultur ist ein wesentliches Element unserer Demokratie. Kulturpolitik darf keinen Einfluss ausüben auf künstlerische Inhalte. Welche Rahmenbedingungen die Politik jedoch gestalten muss, damit Kunst und Kultur sich frei entfalten können, darauf will ich jetzt eingehen.

Die UNESCO-Konvention zum Schutz der kulturellen Vielfalt beschreibt den Doppelcharakter von Kultur als Wirtschafts- und Kulturgut.
Kunst und Kultur haben nicht nur einen Preis, sondern auch einen Wert, der nicht allein mit ökonomischen Kriterien bemessen werden kann - deshalb ist es übrigens so wichtig, dass beim Verhandlungsmandat für das Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU eine Bereichsausnahme für den Kulturbereich gilt.

Die Regeln des Marktes können die öffentliche Kulturförderung nicht ersetzen. Künstlerische Werke und Ausdrucksformen, die heute auf dem Markt noch keine Rolle spielen und sich ohne Förderung nicht entfalten könnten, gehören zur kulturellen Vielfalt und prägen möglicherweise die Kulturlandschaft der Zukunft.

Eine öffentliche Kulturförderung der Angebote muss immer oberstes Ziel der Kulturpolitik sein. Unter Kulturförderung der Angebote verstehe ich, dass öffentliche Kulturförderung auch riskieren muss, Projekte und Inszenierungen zu finanzieren, deren Erfolg nicht von vornherein fest steht. Gerade Nischen im Kunst- und Kulturbetrieb, die nicht von der großen Masse unserer Gesellschaft bevorzugt werden – z.B. der Jazz, das Repertoire des modernen Tanz- und Sprechtheaters, aber auch Bereiche der Jugendkulturen – sind angewiesen auf öffentliche Förderung. Erst durch öffentliche Kulturförderung konnte sich der Kunstbetrieb emanzipieren vom Mäzenatentum vergangener Jahrhunderte. Heute sind unsere kulturpolitischen Förderinstrumente genauso wichtig, wir brauchen sie, wenn wir kulturelle Vielfalt mit Angeboten für alle gesellschaftlichen Gruppen unserer Gesellschaft bewahren wollen. Aber woher soll das Geld für die Kultur kommen - angesichts knapper Kassen in vielen Kommunen? Kultur genauso wie der Sport zählen zu den sogenannten „freiwilligen Leistungen“ im Gegensatz zu den Pflichtleistungen in den kommunalen Haushalten, wozu z.B. die Straßenreinigung und auch das Arbeitslosengeld gehören. Wenn also der kommunale Haushalt aufgestellt wird, heißt es in Zeiten von Sparzwängen oft: Am Theater, an den Bibliotheken müssen wir leider sparen, das dürfen wir auch, denn Kultur ist eine „freiwillige Leistung“ - es wird also als „freiwillig“ verstanden, Kultur zu finanzieren oder eben nicht. Dabei wird jedoch übersehen, wie es zur Definition von Kultur und Sport als „freiwillige Aufgabe“ überhaupt gekommen ist.

Nach der Nazi-Diktatur gab es in der jungen Bundesrepublik einen Konsens darüber, dass die Freiheit von Kunst und Sport gewahrt bleiben muss. Eine politische Instrumentalisierung von Kunst, Kultur und Sport, teilweise mit „Zwangsbeteiligung“ an kulturellen Ereignissen - eine Gleichschaltung der Kultur - sollte es im demokratischen Deutschland nicht geben. Es sollte zukünftig freiwillig sein, sich künstlerisch zu betätigen, und auch künstlerische Inhalte sollten frei sein von politischer Beeinflussung. Es ist also keineswegs so, dass die Kultur eine „freiwillige Leistung“ sein sollte, an der offiziell gespart werden darf. Trotzdem passiert es regelmäßig. Weil Kommunen unter Sparauflagen selbstverständlich zuerst in Kinderbetreuungsplätze oder die Reparatur maroder Straßen investieren.

Als ich 2009 in den Bundestag kam, war das „weiche Themenfeld“ Kulturpolitik plötzlich weit oben auf der Tagesordnung: Als Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise häuften sich die Meldungen über viele von Schließung bedrohten öffentlichen Kultureinrichtungen in ganz Deutschland. Während der Bund im Rahmen des „Wirtschaftsfonds Deutschland“ Milliarden als Überbrückung für mittelständische Betriebe zur Verfügung stellte, die aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise in ihrer Existenz bedroht waren, gab es keinerlei Konzepte für kurzfristige Überbrückungsmaßnahmen im Bereich Kultur. In der Bundeskulturpolitik gibt es verfassungsrechtliche Hindernisse zur direkten Finanzierung einzelner Kultureinrichtungen – in der Kultur gilt genauso wie in der Bildung die Kulturhoheit der Länder. Aber wo ein politischer Wille ist, da ist auch ein Weg, dachte ich mir. Was bei der Bankenrettung und der Rettung von Wirtschaftsbetrieben geht, muss auch in der Kultur möglich sein. Kultur ist genauso systemrelevant wie Banken. Aus diesem Gedanken ist damals mein erster Antrag entstanden: Die Einführung eines KfW-Sonderprogramms „Kulturförderung“ als kurzfristige Überbrückungsmaßnahme für bedrohte Kultureinrichtungen. Die KfW-Bank hatte dafür schon ein Konzept vorbereitet - es scheiterte am politischen Willen. In vielen Städten und Gemeinden hat sich die Situation für die Kultureinrichtungen seitdem nicht wesentlich verbessert. Kommunale Haushalte brauchen mehr Gestaltungsspielraum, nicht nur - aber auch - für die Kulturfinanzierung. Wenn wir über Kulturfinanzierung sprechen, darf nicht unerwähnt bleiben, dass Kulturfinanzierung gerade einmal 1 bis 2 Prozent der öffentlichen Haushalte ausmacht. Mit Einsparungen bei der Kultur lässt sich kein Haushalt sanieren. Der Schaden für die Gesellschaft wäre größer als die gewonnen Einsparungen. Eine Einrichtung, die einmal geschlossen ist, öffnet nicht wieder.

Wir brauchen in Gesellschaft und Politik einen Bewusstseinswandel:

Wir müssen weg vom kurzsichtigen Kosten-Nutzen-Denken und uns Gedanken machen, was für das Leben des Einzelnen wichtig ist. Es geht um die Frage, was unser Leben bereichert jenseits des Konsumdenkens.
Wirtschaftswachstum darf nicht das alleinige Maß sein. Wir müssen uns verabschieden vom Bruttoinlandsprodukt als einzigem Maßstab. Wir brauchen neue Indikatoren für Wohlstand und Lebensqualität.

Unter Berücksichtigung neuer Indikatoren wird auch die Kulturförderung einen höheren Stellenwert erhalten. Denn Kultur bereichert das Leben der Menschen und sorgt dafür, dass nicht ein Tag ist wie der andere.

Rahmenbedingungen zu setzen für einen Bewusstseinswandel, halte ich für wesentlich entscheidender als jene Maßnahmen, mit denen ich in jeder kulturpolitischen Gesprächsrunde konfrontiert werde: Kultur als Staatsziel beispielsweise oder die Frage, ob wir ein Kulturministerium des Bundes brauchen. Beide Maßnahmen halte ich für kosmetisches Beiwerk bei den zu bewältigenden Herausforderungen. Genauso wenig, wie manche Schülerinnen und Schüler heute nicht wissen, dass Kühe nicht lila sind, wissen viele nicht, dass Musik in der Regel nicht im Internet entsteht.

Als kulturpolitische Sprecherin meiner Fraktion war ich oft Podiumsgast zum Thema kulturelle Bildung. Jedes Mal waren wir uns auf dem Podium weitgehend einig. Übrigens auch mit vielen Hirnforschern, Philosophen und Wissenschaftlern, die regelmäßig in Studien belegen, welch unterschiedliche positiven Auswirkungen künstlerische Aktivität hat auf alle Menschen. Als Abgeordnete spreche ich in den Sitzungswochen regelmäßig mit Schülergruppen. Und ich stelle ihnen immer die Frage: Was ist euch wichtig an der Schule? Was macht ihr am liebsten? Und die meisten Schüler antworten: Freunde, Musik – also Singen und Instrumentalgruppen – und der Sport. Das sind die Fächer, in denen junge Menschen Eigeninitiative zeigen dürfen, gestalten dürfen. Gut malen zu können, Theater zu spielen oder zu singen - das gilt in unserem Schulsystem nicht adäquat als Leistung wie z.B. Mathematik oder Chemie. Auch die PISA-Studie berücksichtigt keine künstlerischen Bildungsinhalte. Am achtjährigen Gymnasium ist noch weniger Zeit und Raum für die Entfaltung der Persönlichkeit junger Menschen durch selbstständige künstlerische Aktivität. Ich sage: Kulturelle Bildung muss elementarer Bestandteil der schulischen Bildung sein. In Schweden gehört Theaterspielen längst zur allgemeinen Schulbildung – soweit sind wir in Deutschland noch lange nicht.

Es fehlen der politische Wille und das Bewusstsein für die positiven Auswirkungen kreativer und künstlerischer Aktivität.

Bei künstlerischen Bildungsinhalten geht es um mehr als um die Erziehung zum Publikum in den Konzerthäusern und Theatern von morgen. Es geht um Erfolgserlebnisse, um Anerkennung, um Selbstbewusstsein und um Empathie. Musik- oder Kunstunterricht allein sind nicht zwangsläufig kreativitätsfördernd. Mit Grauen erinnere ich mich an den theoretischen Musikunterricht meiner Schullaufbahn. Was wir dringend brauchen an Schulen ist mehr Praxiserfahrung, das „selber gestalten“ steht bei meinem Verständnis von kultureller Bildung im Vordergrund. Es geht darum, in allen Fächern die Bildung mit Kultur und Kunst mit Lernen zu verknüpfen. Dafür müssen künstlerische und gestalterische Elemente integraler Bestandteil der Unterrichtspraxis werden. Kreative Inhalte müssen in einem fächerübergreifenden und ganzheitlichen Bildungsansatz integriert werden. Das Kooperationsverbot in der Bildung muss abgeschafft werden und in Folge dessen brauchen wir ein Gesamtkonzept zur ganzheitlichen Bildung, in dem das Erlernen künstlerischer Fähigkeiten auf gleicher Stufe steht mit den Wissensfächern.

Die Fähigkeit zum selbstbewussten kreativen Mitgestalten halte ich für ein notwendiges Element zum Erhalt unserer Demokratie. Jeder Mensch ist ein Künstler – diese Aussage von Joseph Beuys interpretiere ich so, dass jeder Mensch in seiner Individualität und Einzigartigkeit die Fähigkeit hat, unsere Gesellschaft mitzugestalten.

Ich verstehe das Beuys-Zitat nicht wörtlich. Jeder Mensch hat kreatives Potential, das gefördert werden muss. Aber nicht jeder Mensch kann Kunst. Denn - ich zitiere Karl Valentin: „Kunst kommt von können, nicht von wollen, sonst müsste es ja Wunst heißen." Ja, Kunst macht Spaß – im Optimalfall, denen, die daran teilhaben genauso wie jenen, die Kunst schaffen.

Regelmäßig bekommen Künstlerinnen und Künstler zu hören: „Wie schön, Sie haben Ihr Hobby zum Beruf gemacht!“ Und vermutlich ist die Selbstausbeutung unter ausgebildeten Künstlerinnen und Künstlern deshalb so groß, weil sie lieber Menschen an ihrer Kunst teilhaben lassen, wenn sie vor die Wahl gestellt werden: „Du darfst bei uns auftreten oder Deine Bilder ausstellen, leider können wir Dir aber nichts dafür zahlen.“ Aber – Vom Applaus allein wird niemand satt. Die meisten künstlerischen Berufe erfordern ein jahrelanges zeit- und kostenintensives Studium. Fleiß, Durchhaltevermögen und Disziplin sind Grundvoraussetzungen für alle darstellenden und bildenden Künstler und Musiker. Wir alle wissen um die zunehmend prekäre Situation von Künstlerinnen und Künstlern. Sie zählen zur kinderärmsten Berufsgruppe in Deutschland, bei durchschnittlich 14 T EUR Jahreseinkommen und einer Rentenerwartung von 420 EUR sind Zukunftsängste vorprogrammiert. Wenn wir über Mindestlöhne und soziale Mindeststandards reden, dürfen wir den Kulturbetrieb nicht ausklammern. Für die Dienstleistung aller ausgebildeten Interpreten, Bühnendarsteller und Lehrenden ohne Festanstellung in Kunst und Kultur muss es Mindestabsicherungen und Honoraruntergrenzen geben. Voraussetzung für die freie Entfaltung von Kunst und für qualitative kulturelle Vielfalt ist Respekt vor künstlerischen Leistungen. Und die Gewährleistung von sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen künstlerisches Schaffen überhaupt möglich ist.

Allerdings haben Künstlerinnen und Künstler noch ein anderes Problem - zu den kleinsten Randproblemchen gehören die vielen illegalen Filesharer, die den Tausch mit kulturellen Inhalten im Internet am liebsten komplett legalisieren wollen.

Ein riesiges Problem sind die marktstarken Verwerter im Internet, die ihre Macht und ihre Gewinne auch kulturellen Inhalten zu verdanken haben, ohne jedoch nur ansatzweise ausreichend in deren Förderung zu investieren. Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen: Beim Streamingdienst Spotify erhalten die Musikerinnen und Musiker bestenfalls 0,00164 Euro pro Stream eines Songs. Ein Album bringt etwa 0,02 Euro pro Stream. Bei einem CD-Verkauf bekommen Musiker im Durchschnitt 3 Euro. Ein Album müsste also rund 145 mal gestreamt werden, um einen Albumkauf reinzuholen. Wir halten fest: Spotify bezahlt diejenigen, auf deren Inhalten das Geschäftsmodell beruht, miserabel.

Sean Parker ist der Gründer von Napster und Spotify. Vor kurzem richtete er für zehn Millionen Dollar eine Hochzeitsparty aus, in der Nähe eines Naturschutzgebiets. Auf dem Campingplatz dort wurde eine riesige Märchenkulisse mit Burgruinen, Tanzflächen, Torbogen und künstlichem Teich errichtet, was massive Umweltschäden verursachte. Das Bußgeld in Höhe von 2,5 Millionen Dollar hat Sean Parker in Kauf genommen. Nun ist es ja so, dass Künstlerinnen und Künstler in Zeiten wie diesen froh sind, wenn sie überhaupt etwas für die Verbreitung ihrer Werke im Internet bekommen. Ich spreche von Zeiten, in denen sich Youtube, der Schwesterkonzern von Google, mit unserer deutschen Verwertungsgesellschaft der GEMA nicht auf eine vernünftige Vergütung für GEMA-pflichtige Inhalte auf Youtube einigen kann. Youtube ist das egal, der Konzern wartet einfach ab, bis die durch Youtube mitgesteuerte Negativ-Kampagne gegen die GEMA zu so viel Unverständnis in Politik und Gesellschaft geführt hat, dass die GEMA entweder ganz die Segel streicht oder klein beigibt. Verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich gibt es an der GEMA viel zu kritisieren. Aber nicht, dass sie selbstbewusst ihren Job macht und eben nicht klein bei gibt, wenn ein milliardenschweres Unternehmen wie Youtube Künstlerinnen und Künstler nicht anständig an der Verbreitung ihrer Inhalte beteiligt. Google hat versucht, das Urheberrecht an den digitalen Versionen sämtlicher jemals veröffentlichter Bücher zu erlangen. Bibliotheken und Verlage wehren sich dagegen. Google unterstützt das Modell Creative Commons, ein Modell, das Urheberinnen und Urheber ermöglicht, ihre Werke zur freien Bearbeitung zur Verfügung zu stellen.

Zwei Jahre lang konnte uns Google auch in Deutschland weismachen, ein Menschenfreund zu sein, und für uns unsere Kultur aus der Knechtschaft böser Verwerter und des bösen Urheberrechts zu befreien: Kulturelle Inhalte frei und kostenlos für alle, zur freien Bearbeitung für alle.

Dank der Google-Verbündeten und teilweise auch von Google Finanzierten im Wissenschaftsbereich wurde in der Vergangenheit massiv auf eine Liberalisierung des Urheberrechts hingearbeitet. Seitdem bekannt ist, dass Google mit der NSA kooperiert hat, sollte allen wie Schuppen von den Augen fallen, dass Google längst dabei ist, auch unsere persönlichen Daten zu liberalisieren. Eine Dreiviertelmilliarde Nutzer verwendet Google-Mail, so dass Google praktischerweise Zugang zum Inhalt ihrer Mails hat. Die aktuellen Ereignisse sind, was Googles Mithilfe betrifft, keine Überraschung mehr: Seit Google Street-View und angesichts der Tatsache, dass Suchneutralität bei Google Fehlanzeige ist, wissen wir: Dieses Unternehmen ist kein Menschenfreund, sondern möchte die Macht über unser Leben im Internet. Transparenz wird zum schillernden Begriff. Sie merken schon, ich komme wieder zurück zum Anfang meiner Rede – zum drohenden Ende unserer Demokratie. Mit der Kultur fängt immer alles an.

Wenn ein Unternehmen oder ein Staat anfängt, künstlerische Inhalte zu entwerten, ist das nie ein gutes Zeichen für den weiteren Verlauf. Das Motto „Meine Daten gehören mir“ kennzeichnet eine zentrale Wertevorstellung meiner Partei. Wir dürfen nicht zulassen, dass Staaten oder Unternehmen unkontrollierte Macht über unsere persönlichen Daten erhalten. Auch ein künstlerisches Werk ist eine persönliche Datei, dahinter steckt ein Mensch, der dieses Werk gemeinsam mit seinen Partnern produziert hat. Dieser Mensch muss immer die Entscheidungsmacht darüber haben, wie und von wem sein Werk bearbeitet wird, wenn er oder sie das so will. Und wenn er sich für eine massenhafte Verbreitung seines persönlichen Werkes entscheidet, muss er die Möglichkeit haben, angemessen am Erfolg beteiligt zu werden.
Es gibt Stimmen, die sagen, wir könnten die technischen Entwicklungen und den Missbrauch nicht aufhalten ohne repressive Maßnahmen.

Ich glaube das nicht.

Ich glaube an eine Gesellschaft, in der es Rechte und Wertevorstellungen gibt. Ein Recht auf anlasslose Überwachung und Speicherung persönlicher Daten werde ich als Politikerin genauso wenig mittragen wie ein Recht auf die Freigabe und den Ausverkauf der Werke unserer Künstlerinnen und Künstler im Internet. Am Internet erleben wir exemplarisch die großen Herausforderungen unserer Zeit: Wie viel Transparenz und Freiheit kann eine Gesellschaft ertragen - ohne dass Transparenz und Freiheit durch ein System in ihr Gegenteil gewendet werden? Der Philosoph Karl Popper hat gesagt: „Uneingeschränkte Freiheit hat das Gegenteil von Freiheit zur Folge; denn ohne Schutz und Einschränkungen durch das Gesetz muss die Freiheit zu einer Tyrannei der Starken über die Schwachen führen.”

Es liegt an uns, wie wir mit der Freiheit im Internet umgehen, es liegt an uns, zu entscheiden, wie viel wir von uns preis geben, es liegt an uns, wie wir mit kulturellen Inhalten im Internet umgehen wollen – die Gestaltung von Demokratie und Freiheit liegt immer am Verhalten des Einzelnen. Malen Sie ein Bild, schalten Sie den Computer früher aus und singen Sie Ihrem Kind etwas vor, werden Sie Mitglied einer Partei oder gehen Sie auf die Straße, wenn multinationale Unternehmen zu Kraken werden, wenn Staaten Ihre Privatsphäre verletzen, ihren Einfluss missbrauchen und unsere Kultur ausbluten lassen wollen und vergessen Sie nicht: Gehen Sie wählen!

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