Agnes Krumwiede
Kunst und Politik

"Was bleibt" Laudatio von Jesko Schulze-Reimpell

Laudatio von Jesko Schulze-Reimpell anlässlich meiner Ausstellung in der städtischen Galerie "Rathausfletz" in Neuburg an der Donau

Liebe Agnes, meine sehr verehrten Damen und Herren,

„Was bleibt“ hat die Künstlerin Agnes Krumwiede ihre Ausstellung genannt. Und „Was bleibt“ heißt auch eines ihrer Bilder. Es ist auf der Titelseite des Katalogs abgebildet und zeigt einen traumschönen, verwunschenen Blick über einen See auf alte Villen. In dem milden diffusen Licht spiegeln sich Ufer und leicht geröteter Himmel im stillen Wasser. Ein Bild, so ruhig, so bewegungslos, als wenn sich hier noch nie etwas geändert hätte und nie etwas ändern würde.Eine Art Ewigkeitssymmetrie.

Agnes Krumwiede erzählt gerne eine Geschichte zu diesem Bild. Es zeigt den Blick auf Villen in Brandenburg, in denen noch bis zum Dritten Reich Juden gelebt haben, bis sie fast unmerklich einfach verschwanden. Inzwischen ist eine der Villen aufwändig renoviert worden. Sie ist das, was bleibt von den Juden. Und auch das, was bleibt von dieser schönen und sehr beständigen Architektur der Gründerjahre. Es bleibt immer etwas übrig in der Fülle der Gegenstände unseres Lebens, die verschwinden. Dinge, Gefühle, Stimmungen, Geschichten. Und diese Gegenstände, Räume und Landschaften sind gleichsam aufgeladen mit Geschichte und Geschichten. Mit Vergangenem und Vergangenheit, die in ihnen aufbewahrt ist. Aber die Vergangenheit scheint zu schlafen. Und nur ein Künstler hat die Macht, diese verzauberte Dingwelt zu erwecken, sie zu entschlüsseln. Um diesen Akt des schöpferischen Wiederbelebens vergangener Geschichten, in dem, was übriggeblieben ist, darum geht es der Künstlerin Agnes Krumwiede in dieser Ausstellung.

Agnes hat dabei einen Vorteil. Sie ist weit mehr als nur eine Malerin. Agnes Krumwiede ist ein Multitalent. Eine studierte Konzertpianistin, eine gestandene Politikerin, die für die Grünen im Deutschen Bundestag saß, für viele Jahre eine hervorragende Musikkritikerin des Donaukuriers. Und sie ist die Mutter eines dreijährigen Kindes. Sie hat im ruhigen Ingolstadt genauso gelebt wie im umtriebigen, hellwachen Berlin. All diese Erfahrungen konzentriert sie in ihren Bildern. Ihre Werke sind ohne diese Erlebnisse, aber auch nicht ohne das politische Engagement, den Zorn über die bestehenden Verhältnisse denkbar.

Agnes Krumwiede ging in Ingolstadt und Eichstätt zur Schule, nach dem Abitur studierte sie Klavier in Würzburg, wo sie auch ihr Konzertexamen ablegte. Vorher bereits wurde sie mit zahlreichen Preise ausgezeichnet, etwa beim Wettbewerb Jugend musiziert. Sie gründete eine Klavierschule in Ingolstadt, war zwischen 2009 und 2013 im Bundestag Sprecherin für Kulturpolitik. 2010 wurde sie als „Klavierspielerin des Jahres“ auf der Frankfurter Musikmesse geehrt. Was bei all diesen Aktivitäten verborgen bleibt ist die Malerei. Dabei zieht sich die Begeisterung für Kunst durch ihr ganzes Leben, wurde aber zeitweise von anderen Interessen in den Hintergrund gedrängt.

„Ich wollte eigentlich schon als Kind Maler werden“, erzählt sie heute, „lange bevor ich mich ernsthaft für das Klavier interessierte“. Aber die Wettbewerbserfolge am Klavier machten es Agnes schwer, allein auf die Bildende Kunst zu setzen. Ein weiteres Problem: Agnes Krumwiede fühlte sich von Anfang an immer als figürliche, gegenständliche Malerin. Abstrakte oder Konkrete Kunst besaß und besitzt für sie keine Anziehungskraft. Als sie allerdings Abitur machte, war diese Kunstrichtung gerade völlig aus der Mode gekommen. Dass sie sich heute, nach so langer Zeit, endlich wirklich als Malerin fühlt, ist eigentlich ihr kleiner Sohn schuld. Der konnte bei den nächtlichen Klavierübungen nicht recht schlafen. Und die junge Mutter musste sich ein anderes, stilleres Betätigungsfeld suchen, um sich kreativ auszutoben: die Malerei.

Was daraus geworden ist, verblüfft. Gerade in den vergangenen drei Jahren hat sich Agnes Krumwiede enorm künstlerisch entwickelt - ohne dabei allerdings ihren spezifischen Stil abzulegen, der ihr Schaffen seit Jahren prägt. Dieses enorme künstlerische Reifen ist wohl auch der Grund dafür, dass wir in Neuburg nun fast ausschließlich Werke sehen, die sie in den vergangenen Monaten gemalt hat. Werke also, mit denen sie sich wohlfühlt, die sie gemalt hat, mit dem Gefühl, inzwischen an einem bestimmten Punkt der Professionalität angekommen zu sein. Wenn wir die Bilder auf uns wirken lassen, fällt zunächst ihre Schönheit auf. Gemälde mit stimmungsvollem Abendlicht, Liebende, die sich küssen, schöne Landschaften, anmutige Menschen. Aber die Bilder haben eine Tiefenwirkung. Ihr Oberflächenglanz täuscht manchmal. Man sieht lange hin, und entdeckt etwas anderes auf den zweiten Blick. Man sieht verborgene Geschichten. Vergangenes, etwas, das geblieben ist, schimmert auf einmal durch die Farbtöne. Da ist etwa das Bild von den Liebenden, die sich auf einem Platz in Paris leidenschaftlich küssen. Aber im Hintergrund schwebt das Grauen. Man sieht einen Mann mit Maschinenpistole. Ein Terrorist? Im Vordergrund sind dunkle Flecken zu erkennen. Blut? Und was hat es mit diesem Lichtschein auf sich an der Häuserwand? Eine Explosion? Agnes Krumwiede hat dieses Gemälde unter dem bedrückenden Eindruck der Terroranschläge von Paris gemalt. Und sie hat dieses Ereignis reflektiert – allerdings im Verborgenen, rätselhaft.

Ähnlich das Bild „Biergarten“, das eine Szene in der Gaststätte Antonius Schwaige in Ingolstadt wiedergibt. Das Gemälde wirkt wie ein beliebiger Amateur-Schnappschuss. Aber: Die Abendstimmung ist unheimlich, das Gelb des Himmels giftig. Man spürt, da braut sich etwas Unheilvolles zusammen weit hinter dem Zaun, und die Gäste bemerken es nicht einmal. Oder die Granatäpfel, die Agnes Krumwiede „Granaten“ nennt. Auch sie sind plastisch wie eine Stillleben-Studie dargestellt. Aber was soll dieser bedenkliche Schatten im Hintergrund bedeuten? Oder das Bild „Gespenster“, das eine verschwommene junge Frau darstellt. Im Hintergrund aber spukt es, im Gewirr der Flecken regt sich die Fantasie, unheimliche Gestalten bilden sich. Oder das Bild „Glut“, das weit mehr zeigt als eine gewöhnliche Abendstimmung. Denn die Bäume vor dem glühenden Himmel werden zu Gerippen des Todes. Agnes Krumwiede ist eine moderne Romantikerin. Sie malt gegenständlich fast sachlich, aber wie bei den großen Malern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, entstammt jedes Objekt auch noch einer anderen, poetischen, mystischen, manchmal irritierenden Wirklichkeit. Es ist so, wie wir gerade bereits feststellten: Sie sind aufgeladen mit dem, was bleibt. Eine Wirklichkeit, die erst vom Künstler wachgeküsst wird. Krumwiede, die ihre Gemälde sehr planvoll und perfektionistisch angeht, und mit Akribie wochenlang daran arbeitet, wählt sich dennoch oft Situationen, die das Unbewusste, das nichtberechenbare in ihre Kunst eindringen lässt. So malt sie auf die unruhige Pressspanoberfläche von OSB-Platten. Oder auf rostige Metallbleche. Ein besonders eindrucksvolles Bild zeigt einen Teddybären und entstammt der Serie „Deutsche Vergangenheit“. Das Bild bezieht sich auf eine Geschichte im KZ Ravensbrück: Auf einem der Todesmärsche will ein etwa fünfjähriges Sinti-Kind seinen Teddy aufheben und wird dabei von einem SS-Mann mit dem Gewehrkolben erschlagen. Eine andere Frau sieht das Kuscheltier, bewahrt es liebevoll auf, bis es schließlich in der Ausstellung des KZ Ravensbrück landet. Eine Geschichte, die Agnes Krumwiede aufwühlt. Sie malt den Teddy auf einer Rostplatte. Aber nicht als schönes Spielzeug, aufrecht sitzend. Sondern wie weggeworfen auf den fleckig-braunen Untergrund, mit übergroßen Beinen und erhobenen Armen. Das alles sind Bilder, die Agnes Krumwiede als eine Meisterin des Unheimlichen zeigen. Aber es gibt auch noch eine andere Seite der Künstlerin. Eine politischere, humorvollere. Zum Beispiel hat sie sich mit dem biblischen Mythos von der Vertreibung aus dem Paradies beschäftigt. Und die Geschichte einfach einmal andersherum erzählt. Man sieht Adam und Eva fast altmeisterlich auf der wirren Oberfläche der OSB-Platten gemalt, so als würden sie fast untergehen zwischen den vielen Holzspänen. Hier allerdings kriecht die Schlange um Adam herum, und dort liegt auch der angebissene Apfel. Eva hingegen blickt unschuldig in die Weite. Und das Hirn des Mannes wird bei Agnes Krumwiedes feministischer Interpretation aus Evas Rippe gemacht. Wir sehen, meine Damen und Herren, Agnes Krumwiede ist eine vielseitige, ebenso romantische wie feministische und humorvolle Künstlerin. Schauen Sie sich bitte um, suchen Sie nach den Geschichten und Gefühlen in diesen Bildern. Wagen Sie auch mal einen zweiten Blick, um hinter die schöne Kulisse zu schauen. Nach dem, was bleibt. Und staunen Sie ein bisschen. Vielen Dank.

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