Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
20.01.2010

Rede im Plenum

Zum Bundeshaushalt 2010

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Streben nach Leistung, Wachstum und Wohlstand beherrscht unsere Gesellschaft. Ein Bild malen, Theater spielen oder Musizieren ist bei uns keine Leistung, sondern im besten Fall Talent, das in der Freizeit gepflegt werden darf. Auch für die Kommunen ist Kultur keine Pflicht, sondern Kür, eine freiwillige Leistung. Es ist eine Tatsache, dass die sogenannten freiwilligen Aufgaben den Kürzungen als Erstes zum Opfer fallen, wenn den Kommunen das Geld ausgeht. Die stehen vor dem finanziellen Kollaps. Ihre verfehlte Steuerpolitik mit großzügigen Geschenken an eine großzügige Klientel wird die Situation noch verschlimmern.

Der Flächenbrand im Kulturbetrieb hat gerade erst begonnen. Ein solcher Verlust kultureller Infrastruktur kann nicht wieder rückgängig gemacht werden.
Allen voran die kleineren Kultureinrichtungen, die freie Szene, die Soziokultur und die Kinder- und Jugendkultur erwartet eine düstere Zukunft. Ziehen wir die Konsequenzen: Besser früher als zu spät brauchen wir einen Nothilfefonds Kultur des Bundes. Darüber entscheidet einzig und allein der politische Wille.

Der politische Wille konnte Banken retten. Für den Erhalt kleiner kultureller Institutionen wäre nur ein Bruchteil dieser Mittel notwendig. Die Rettung der Hypo Real Estate hat so viel Geld verschlungen, wie der vierfache Betrag aller öffentlichen Kulturausgaben pro Jahr in Deutschland ausmacht. Im Haushaltsplan der Regierung geht es in erster Linie um die Sicherung etablierter Aushängeschilder. Aber, Herr Neumann, solange der Bund nicht gleichermaßen Verantwortung für die Förderung kleiner Projekte und Institutionen übernimmt, riskiert er trotzdem eine Verödung unserer Kulturlandschaft; denn Generationengerechtigkeit bedeutet nicht nur, den Schuldenberg zu reduzieren und unser kulturelles Erbe für nachfolgende Generationen zu bewahren, es ist genau so wichtig, Kreativität zu fördern, die Entstehung von Neuem zu fördern und die Phantasie zu fördern. Das bedeutet vor allem, die Rahmenbedingungen für kulturelle Bildung zu verbessern.

Doch was macht die Bundesregierung? Sie kürzt die Zuwendungen für die Kulturstiftung des Bundes. Wir alle kennen die Bedeutung der Kulturstiftung im Bereich der kulturellen Bildung. Neuerdings ist im Haushaltsplan 1 Million Euro für „kulturelle Vermittlung“ vorgesehen. Mir kommt es sehr fragwürdig vor, Gelder für die Kulturstiftung zu kürzen und gleichzeitig in ein Phantom mit dem Namen „kulturelle Vermittlung“ zu investieren, von dessen Existenz die Opposition zum ersten Mal durch den Haushaltsplan erfahren hat.

Wir sind gespannt, welche inhaltlichen Konzepte sich dahinter verbergen und helfen auch gerne mit Ideen.
Wir helfen auch gerne bei der Medienpolitik. Die Koalition hat groß angekündigt, die digitale Spaltung der Gesellschaft verhindern zu wollen, aber es genügt nicht, in jedem Haushalt einen Breitbandzugang zu legen. Notwendig sind mehr Projekte zur Förderung von Medienkompetenz. Entscheidend ist auch hier die Förderung der kleinen Initiativen, in denen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die digitale Welt mit all ihren Chancen kritisch nähergebracht wird. Ich glaube, wir brauchen einen Paradigmenwechsel in unserer Gesellschaft. Einem Wachstumsbeschleunigungsgesetz möchte ich die Forderung nach Entschleunigung entgegensetzen.

Alle, gerade Kinder und Jugendliche, sind auf Zeit zum Wachsen und zum Spielen angewiesen. Geistige Entwicklung braucht Zeit. Da lässt sich nichts beschleunigen. Wir müssen Abschied nehmen vom Leistungswahn und in die Bildung investieren, Räume und Freiräume schaffen für kreative Inhalte. Das Wohlergehen der Menschen in unserem Land hängt nicht ab von materiellem Wachstum zugunsten einer privilegierten Schicht, sondern von lebensfreundlichen Bedingungen. Ein besseres Leben für viele ist für uns Grüne wichtiger als mehr Geld für wenige.

Das heißt, es darf Ihnen als Regierung nicht in erster Linie darum gehen, die schillernde Oberfläche unserer Kulturnation zu polieren, Stichwort „Berliner Stadtschloss“. Wenn die Kommunen vor dem Aus stehen, kann der Bund nicht tatenlos zusehen. Wir dürfen unsere kommunalen Kultureinrichtungen nicht dem Beschleunigungswahnsinn opfern.
Es ist unsere Pflicht, zukünftigen Generationen keine geistige Verarmung zu hinterlassen. Der Weg zu einem neuen Denken – wir meinen damit etwas anderes als Frau Merkel –, zu einem besseren Leben ist ohne ein neues Bewusstsein für kulturelle Werte nicht möglich.

Vielen Dank.

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