Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
25.02.2010

Rede im Plenum

Kulturelle Infrastruktur sichern – Substanzerhaltungsprogramm Kultur auflegen (1. Lesung)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und
Kollegen!

Geld fließt in unserem System immer dorthin, wo der schnellste Profit erwartet wird: in Unternehmen und in Banken. Nicht erst seit der Finanz- und Wirtschaftskrise ist dieses Prinzip ins Wanken geraten. Ich frage mich: Wie ökonomisch ist eigentlich ein menschliches Leben? Was erwirtschaftet eine Bibliothek? Keine messbaren Werte. Aber die Werte, die von einer Spekulationsblase zerstört werden, sind messbar.

Wie gehen wir in Zukunft also mit dem Geld um? Setzen wir weiterhin ausschließlich auf alte Strukturen oder endlich auf eine nachhaltige Zukunft unter anderen, ganz neuen Vorzeichen? Der Deutschlandfonds stellt Milliarden
als Überbrückung für mittelständische Unternehmen zur Verfügung, die aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise in ihrer Existenz bedroht sind. Eine Bibliothek oder ein kleines Theater können nicht ohne Weiteres ihre Wirtschaftlichkeit nachweisen, haben aber eine ebenso große Bedeutung für die Infrastruktur einer Stadt.

Für Hotelübernachtungen wurde die Mehrwertsteuer verringert, aber die Gäste werden ausbleiben, wenn nichts mehr da ist, weshalb sich eine Reise lohnt. Unsere tagsüber hübsch anzusehenden Städte werden abends tot sein, weil keine Kleinkunstbühne, kein Programmkino, kein Theater oder Festival am Leben erhalten werden konnten. Billigere Hotelübernachtungen allein erhöhen
nicht die Attraktivität einer Stadt als Wirtschaftsstandort.

Am Neubau von kulturellen Eliteobjekten mangelt es in Deutschland nicht. In Köln soll für 360 Millionen Euro ein neues Schauspielhaus gebaut werden, während im gleichen Atemzug der Kulturetat um 30 Prozent gestrichen
wurde. Die Frage ist doch: Was passiert, nachdem Prominente und Politiker die neu aus dem Boden gestampften Kulturstätten medienwirksam eingeweiht
haben? Denn der finanzielle Aufwand, diese Bauhüllen der Kultur am Leben zu erhalten, ist ungleich höher als die Baukosten. Ein Theater ohne Ensemble ist nur eine leere Hülle.

Prunkbauten werden das Kultursterben nicht kaschieren können und auch nicht Ihr Leugnen der Realität.Kein Bücherbus in ländlichen Gebieten, ein geschlossenes Programmkino oder ein fehlendes soziokulturelles Zentrum bedeuten weniger Bildung, weniger Information und einen Verlust an sozialer und kultureller Teilhabe. Das Schlimme ist: Betroffen sind vor allem jene, die sowieso schon zu den Verlierern der Krise zählen. Aber nicht nur sie sind die Leidtragenden. Es wird gravierende Einschnitte geben an den Gehältern und bei den festen Stellen für Orchestermusiker oder Schauspieler, die zum Großteil bereits jetzt im Niedriglohnsektor arbeiten. Bestehende kulturelle Strukturen zu bewahren, heißt immer auch, Arbeitsplätze zu erhalten.

Unser Vorschlag, die Prüfung eines KfW-Sonderprogramms Kulturförderung, könnte eine Symptomkur für unser erkranktes System bedeuten.
Das Expertengespräch gestern im Kulturausschuss hat gezeigt, dass akuter Handlungsbedarf besteht. Unser System ist erkrankt. Unzählige kommunale Haushalte haben keinen Finanzspielraum mehr für die Kultur und andere
Bereiche der freiwilligen Leistungen. Wenn die Regierung nicht umgehend handelt, riskieren wir sehenden Auges, dass sich unsere Kulturlandschaft in ein Ruinenfeld verwandelt.
Wir fordern die Regierung auf, unseren Vorschlag zu prüfen und Überbrückungsmaßnahmen für die Substanzerhaltung kultureller Strukturen in die Tat umzusetzen. Wir werden nicht aufgeben. Eine Fortsetzung unserer Forderungen und Vorschläge zur Kulturrettung folgt. Geben Sie den Kommunen ihre Selbstverwaltung zurück! Leiten Sie eine Reform der Gemeindefinanzierung
ein! Lassen Sie nicht zu, dass unsere Kulturlandschaft verödet!

Wir müssen dafür sorgen, dass für alle Menschen, von jung bis alt, von gering- bis besserverdienend, in Stadt und Land unser kulturelles Erbe und Orte der Fantasie erhalten bleiben.
Was wir für die Kultur tun können, ist untrennbar mit einem Bewusstsein dafür verbunden, was die Kultur nachhaltig für uns tut. Sie rüttelt uns auf aus festgefahrenen Denkstrukturen und bereichert unsere emotionale Erlebniswelt. Kultur befriedigt das Bedürfnis des Menschen, dass nicht ein Tag ist wie der andere.
Vielen Dank.

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