Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
10.11.2009

Rede im Plenum

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir alle glauben, dass wir in einer Welt leben, in der wir über mehr Wissen verfügen als je zuvor in der gesamten Menschheitsgeschichte. Andererseits leiden wir unter Problemen, die wir selbst geschaffen haben. Ich nenne hier nur einige: die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Klimaveränderung, Hunger und Krieg. Gerade in Krisenzeiten brauchen die Menschen Werte und eine positive Lebenseinstellung, eine andere Form von Reichtum, als das Bruttoinlandsprodukt messen kann.

Mechanistisches Schubladendenken hat sich nicht bewährt. Damit meine ich auch die ewige Floskel von der „Brückentechnologie Atomkraft“,
bei der es nur um Ideologie geht. Sie wissen ganz genau, dass mit der Atomkraft die erneuerbaren Energien verhindert werden.
Wir brauchen ein neues Denken, neue Denkansätze, die von Fantasie und Individualität geprägt sind. Dabei kann uns die Kultur helfen.

Über Kultur identifiziert sich der Mensch mit sich und seiner Umwelt. Er entwickelt Kritikfähigkeit, Empathie, Selbstbewusstsein und Respekt. Davon bin ich als Musikerin überzeugt. Albert Einstein sagt: „Phantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt.“
Was jedoch erwartet uns in den nächsten vier Jahren in der Kulturpolitik? Laut Koalitionsvertrag will Schwarz-Gelb in eine Prestigekultur investieren.
Kulturpolitik aber muss mehr sein als die Unterstützung repräsentativer Leuchtturmprojekte.

Wir Grünen wollen, dass Kultur für alle Menschen da ist, nicht nur für einen erlesenen Kreis einer wohlhabenden Klientel im elitären Elfenbeinturm.
Wir verstehen Kulturpolitik als Bildungsauftrag. Kulturelle Bildung kann ein Schlüssel zu gesellschaftlicher Teilhabe sein. Kinder und Jugendliche aus allen sozialen Schichten brauchen die gleichen Zugangsmöglichkeiten zu kulturellen Inhalten. Deshalb ist es so wichtig, dass sich Kultur- und Bildungseinrichtungen untereinander besser vernetzen. Theaterprojekte zum Beispiel, aber auch der Hip-Hop als Projekt sollten feste Institutionen an unseren Schulen werden.

Subkultur, freie künstlerische Entfaltungsmöglichkeiten wollen wir Grünen in gleichem Maße fördern wie den hochsubventionierten Opernbetrieb. Grüne Kulturpolitik will die Vielfalt. Die schwarz-gelbe Forderung nach der deutschen Sprache im Grundgesetz verstehe ich als Deutschtümelei. Wir wollen geistige Vielfalt, nicht Einfalt. Kultur soll integrieren, nicht ausgrenzen.

Die Wertschöpfung der Kreativwirtschaft übersteigt mittlerweile die der Automobilindustrie, der Chemieindustrie und der Landwirtschaft. Doch hinter den schillernden Kulissen der Kreativwirtschaft sieht es düster aus. Als Pianistin weiß ich, wovon ich spreche. Es hakt an allen Ecken und Enden in der Kulturbranche.
Viele Menschen sind überrascht, wenn sie hören, dass die meisten Musiker, Schauspieler und Tänzer regelmäßig auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Hochqualifizierte Talente werden ausgebeutet und arbeiten für einen Hungerlohn. Das Sparen von staatlicher Seite an der sozialen Absicherung der Kulturschaffenden bedroht die Freiheit der Kunst.
Daran hat leider auch die Reform der Anwartschaftsregelung im SGB III kurz vor dem schwarz-roten Torschluss nichts Grundlegendes geändert. Ich bin hier, um an die großen, leeren Versprechungen der letzten Legislaturperiode zu erinnern.

Was den schwarz-gelben Koalitionsvertrag betrifft, stört mich darin besonders die komplette Missachtung der sozialen Absicherung von Künstlerinnen und Künstlern.
Hier sehe ich einigen Nachbesserungsbedarf. Denn: Eine Gesellschaft, die ihre Kulturschaffenden nicht wertschätzt, riskiert, auf eine Weise zu verarmen, die mit Geld nicht wieder gutzumachen ist.
Wir brauchen deshalb endlich eine soziale Versorgung, die Rücksicht nimmt auf die heutigen Produktionsbedingungen der Medien- und Kulturbranche mit ihren sehr unterschiedlichen und flexiblen Arbeitsmodellen.

Ich glaube, zwischen uns hier im Plenum gibt es nicht nur politische Unstimmigkeiten. Der Bericht der Enquete-Kommission ist dafür ein ausbaufähiger Beleg. Ich denke, in der Kulturpolitik haben wir größtenteils sogar die gleichen Ziele. Es fehlt nur an der Umsetzung. Dabei lädt gerade die Kulturpolitik zu einer fraktionsübergreifenden Zusammenarbeit ein. Diese Chance müssen wir nutzen.
Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, neue und mutige Wege in der Kulturpolitik zu beschreiten. Wir haben es in der Hand, eine fantasievollere Gesellschaft zu fördern und mitzugestalten. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit.

Vielen Dank.

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