Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
07.09.2011

Rede im Plenum

Erste Beratung der Bundesregierung zum Einzelplan 04 des Bundeshaushalts 2012

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen

Das Motto schwarz-gelber Politik lautet: rasender Stillstand.  Auch im Bereich Kultur. Noch immer ist der Kulturstaatsminister keinen bedeutenden Schritt weiter, was die Verbesserung der sozialen Lage von Kulturschaffenden betrifft.
Eine Kulturpolitik, die sich in der Vergabe von Preisen für künstlerische Leistungen erschöpft, lehnen wir ab. Künstler werden nicht nachhaltig dadurch gefördert, dass sie als Preisträger der Selbstinszenierung des Kulturstaatsministers dienen. Kulturpolitik muss mehr können als ein Geldautomat. Es genügt nicht, nach Gutsherrenart willkürlich Mittel zu verteilen und das mit dem undefinierten Begriff „gesamtstaatliche Bedeutung“ zu begründen.
Warum sind einige Festspiele und Institutionen von größerer gesamtstaatlicher Bedeutung als andere? Wir brauchen hier endlich ein transparentes und faires Verfahren. Kulturpolitik allein darf nicht über Förderwürdigkeit von Kunst und Kultur entscheiden, ein unabhängiges Expertengremium muss die Entscheidungen beraten. Und nach dem Geldsegen ist die kulturpolitische Arbeit noch lange nicht beendet: Wenn der Bund fördert, übernimmt er auch Verantwortung für die Verwendung der Mittel.
Als ich vor einem Jahr die Finanzierung der Bayreuther Festspiele in Frage gestellt habe, löste meine Kritik Empörung aus. Mittlerweile hat auch der Bundesrechnungshof die ausufernden Karten-Kontingente kritisiert.  Solange nur ein Bruchteil der Karten für die Allgemeinheit verfügbar ist, profitiert von den Wagnerfestspielen nur eine Elite. Herr Neumann, wir fordern Sie auf, den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes zu folgen und auf eine deutliche Reduzierung der Kartenkontingente hinzuwirken. Steuergelder verfehlen ihren Zweck, wenn das Live-Erlebnis von Kulturevents nur einem etablierten „Stammpublikum“ überlassen bleibt.
Viele Menschen empfinden klassische Konzerte, Oper oder Theater heute als elitär. Es ist unsere Aufgabe, dieser wachsenden Entfremdung entgegenzuwirken. Deshalb muss Kulturpolitik Rahmenbedingungen setzen, die verhindern, dass nur eine Elite Zugang erhält – und ich meine damit nicht nur eine Karte für die Bayreuther Festspiele, es geht um eine Stärkung und Aufwertung kultureller Bildung, eine Überwindung des verkrusteten Schubladendenkens in Hoch- und Subkultur.

Auch bei der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“  ist rasender Stillstand angesagt. Als Kulturstaatsminister und als Vorsitzender des Stiftungsrates tragen Sie, Herr Neumann, doppelte Verantwortung: Es ist untragbar, dass die Revisionisten Tölg und Saenger als stellvertretende Mitglieder immer noch Teil des Stiftungsrates sind. Sie tolerieren das und nehmen dafür in Kauf, dass der Zentralrat der Juden aus Protest bis heute seine Sitze ruhen lässt. Mit Ihrem Einverständnis wurde bei der Wiederbesetzung des wissenschaftlichen Beirates der Vertreter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma nicht wieder berufen. Herr Neumann, wenn Mitglieder der Stiftung als Ausdruck ihres Protestes ihren Sitz ruhen lassen, darf das von Ihnen nicht als Rechtfertigung missbraucht werden, diese Mitglieder auszuschließen. Jede Fehlentscheidung und Missstimmung innerhalb der Stiftung ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer des Nationalsozialismus.  Deshalb fordern wir eine Streichung der Mittel und einen Neustart der Stiftung.
Wir begrüßen, dass auch im Kulturhaushalt 2012 der Erhalt der KZ-Gedenkstätten in Deutschland gesichert ist. Dass sich das Auswärtige Amt dagegen nicht  für den Erhalt der KZ-Gedenkorte in Polen einsetzt, ist mehr als beschämend. Die ehemaligen Konzentrationslager Sobibor, Majdanek und Treblinka befinden sich im Zustand substanzieller Auflösung.  Diese Tatorte nationalsozialistischer Verbrechen müssen erhalten bleiben, als Mahnmal gegen das Vergessen, als Friedhöfe für die Hinterbliebenen. Die akribische Differenziertheit des Völkermordes muss für alle Zeiten dokumentiert werden. Herr Westerwelle, es ist zynisch, sich auf Formalismus wie die fehlende Problemanzeige von polnischer Seite zu berufen. Wir fordern Sie auf, Polen ein Angebot zur Teilfinanzierung der Gedenkorte zu machen. Zeigen Sie Gespür für unsere historische Verantwortung, bewahren Sie uns vor der Peinlichkeit, die Erinnerungsstätten Deutscher Schuld in Polen verfallen zu lassen. Es kann doch nicht wahr sein, dass Erinnerungskultur für schwarz-gelb darin besteht, von der Opposition an Ihre Aufgaben erinnert zu werden.

Unser System verursacht, dass wir von allem den Preis kennen und nicht den Wert. Der Wert von Kultur ist oft höher als ihr Preis. Meistens geht es in der Kulturpolitik nicht um große Summen. Grüne Kulturpolitik will, dass Mittel auch dort ankommen, wo nicht alle hin sehen.

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