Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
30.06.2011

Rede im Plenum

Ratifizierung des UNESCO Übereinkommens zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes (zu Protokoll)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,    

im Jahr 2003 hat die UNESCO das Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes verabschiedet. In Kombination mit der UNESCO-Konvention zu Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen sowie zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt ist das Übereinkommen zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes die logische Ergänzung. Seit 2006 haben weltweit 134 Staaten das Übereinkommen ratifiziert. Die Aktivitäten zur Umsetzung sind in vollem Gange. Es ist zu begrüßen, dass die Bundesregierung dem Vorbild Asiens und zahlreicher europäischer Länder folgt und nun endlich den Ratifizierungsprozess in Deutschland in Gang bringen möchte.
Die Nominierung immaterieller Kulturgüter ist weitaus komplizierter als jene substanzieller Güter wie beispielsweise von Gebäuden, der Artenvielfalt oder einzigartigen Naturlandschaften.

Denn immaterielle Kulturgüter sind nicht nur haptisch, sondern insbesondere auch definitorisch schwer greifbar. Stetige Veränderung und kulturelle Interaktion gehören ebenso zu ihren Merkmalen wie die Verwurzelung ihrer Tradition unter gesellschaftlichen Gruppen oder in der gesamten Gesellschaft. Immaterielle Kulturgüter, wie Märchen, alte deutsche Volkslieder oder Traditionsfeste – um einige exemplarische Beispiele zu nennen - sind untrennbar mit unserer Identität verknüpft. Als Fundament unserer kulturellen Vielfalt benötigen immaterielle Kulturgüter Wertschätzung und Schutz durch Anerkennung im Rahmen des UNESCO-Übereinkommens.
Deutschtümelei und Ausgrenzungstendenzen bei der Suche nach schützenswerten immateriellen Kulturgütern in Deutschland sind unbedingt zu vermeiden: Es entspricht dem Wesen von Kunst und Kultur, von unterschiedlichsten Einflüssen geprägt zu sein und sich unablässig weiter zu entwickeln. Immaterielle Kulturgüter symbolisieren die Transformationsprozesse unserer Kultur und Gesellschaft.
Bei der Auswahl schützenswerter immaterieller Kulturgüter muss einem ökonomischen, ideologischen und politischer Missbrauch vorgebeugt werden. Dies betont auch die Koalition im Feststellungsteil ihres Antrags, entwickelt jedoch aus dieser Erkenntnis keine entsprechenden Schlussfolgerungen, wozu auch die Erstellung eines nationalen Kriterienkatalogs gehört. Wir fordern in unserem gemeinsamen Antrag mit der SPD ein bundesweit einheitliches Verfahren und klare Entscheidungskriterien, auf deren Grundlage die Anmeldung und Auswahl für die nationale Inventarliste erfolgen sollte.

Kontraproduktiv wäre es, immaterielle Kulturgüter unter Schutz des UNESCO-Übereinkommens zu kommerzialisieren. Vielmehr sollte es darum gehen, diese Kulturgüter und Traditionen qualitativ zu erhalten, weiterzuentwickeln und die Zugangsmöglichkeiten zu verbessern. Angesichts der Komplexität des Themas ist es notwendig, konkrete politische Rahmenbedingungen festzulegen, sowohl für die Methodik der Nominierung als auch für den weiteren Umgang zur Bewahrung der ausgewählten immateriellen Kulturgüter. Wie kann beispielsweise der theoretische Schutz alter Volkslieder im Rahmen des UNESCO-Übereinkommens gewährleistet werden, wenn an vielen Schulen musische Fächer gekürzt und somit auch das Singen immer weniger gefördert wird zugunsten der sogenannten MINT-Fächer?!

In unserem Antrag mit der SPD fordern wir ein Konzept zur Methodik der Nominierung und zum Schutz der ausgewählten immateriellen Kulturgüter - diese Aspekte bleiben im vorliegenden Antrag der Koalition völlig unberücksichtigt.
Als Vorbild kann uns das Auswahlverfahren der Schweiz dienen: Dort wurde ein allen Bürgerinnen und Bürgern offen stehendes Forum für das immaterielle Kulturerbe eingerichtet, um den Prozess der Ratifikation und die Umsetzungspraxis der Konvention zu begleiten. Wir brauchen in Deutschland ein adäquat basisdemokratisches Auswahlverfahren, um die Sichtweisen und Interessen unterschiedlicher kultureller und gesellschaftlicher Gruppen umfassend zu berücksichtigen. Das gesamte Spektrum unseres Reichtums an immateriellen Kulturgütern muss zur Disposition stehen: Die deutsche Theater- und Operntraditionen und das Puppenspiel ebenso wie jüngere Kunstformen, beispielsweise die Phänomene der Jugendkultur – Rap, Hip-Hop oder Poetry-Slam. Die Techniken der Pigmentmischungen in der Malerei ebenso wie das Kunsthandwerk mit unterschiedlichen Materialien der Bildhauerei, der Töpferei oder des Holzschnitts. Qualitative Unterteilungen in „Hoch“- und „Subkultur“ dürfen genauso wenig eine Rolle spielen wie Präferenzen einzelner Kunst- und Kultursparten. Im Bereich des Brauchtums sollten nicht nur Trachtenfeste zur Auswahl stehen, sondern beispielsweise auch der Christopher-Street-Day, welcher mittlerweile in Deutschland zur Tradition geworden ist. Das traditionsreiche Kulturgut der deutschen Minderheiten – z.B. der Sorben oder der deutschen Sinti und Roma – muss gleichermaßen in die Überlegungen zur Schutzbedürftigkeit miteinfließen wie die kulturelle Dimension des Internets. Die Palette immaterieller Kulturgüter in Deutschland ist facettenreich und bunt. Wenn Bürgerinnen und Bürger die Chance erhalten, mitzubestimmen, welche immateriellen Kulturgüter ihnen am Herzen liegen, kann dadurch auch das Bewusstsein für den Wert unserer kulturellen immateriellen Güter gestärkt werden. Diese neue Wertschätzung wäre eine Bereicherung für unsere Gesellschaft. Deshalb müssen wir Konzepte finden, möglichst viele Bürgerinnen und Bürger, Organisationen und Interessenverbände bei der Erstellung von Inventarlisten zur Unterschutzstellung durch das UNESCO-Übereinkommen zu beteiligen. Nicht die Politik, sondern Bürgerinnen und Bürger müssen darüber entscheiden, welche immateriellen Kulturgüter Deutschland für das UNESCO-Übereinkommen nominieren wird! 

Den interfraktionellen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD finden Sie hier

Der Antrag von CDU/CSU und FDP zu diesem Thema ist hier zu finden

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