Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
07.10.2010

Rede im Plenum

Das Parlament der Bäume (zu Protokoll)

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

als Theaterstück inszeniert wäre die jüngste Geschichte um Ben Wagins „Parlament der Bäume“ eine entlarvende Satire auf den schwarz-gelben Regierungsstil. In der Realität gibt es Buh-Rufe für diese schlechte Daily-Soap live aus dem Deutschen Bundestag: Es ist ein politische Trauerspiel.

Letzte Woche haben die Vertreter der Koalitions-Fraktionen im Ausschuss für Kultur und Medien einstimmig gegen unseren grünen Antrag zur dauerhaften Unterschutzstellung des „Parlaments der Bäume“ votiert. Unser Antrag enthielt die Forderungen, das „Parlament der Bäume“ durch eine entsprechende Bauleitplanung zu schützen und die Aufnahme als Kulturdenkmal in die Landesdenkmalliste Berlin anzuregen.
Einen Tag später fanden die Feierlichkeiten zur Neugestaltung des „Parlaments der Bäume“ statt. Die Entscheidung der Koalition vom Tag zuvor gegen einen dauerhaften Erhalt des Kunstwerks schien vergessen:
Vor den Vertretern der Presse und in Anwesenheit Ben Wagins würdigte Kulturstaatsminister Neumann salbungsvoll die Arbeit des Künstlers. Am selben Tag erklärte der Kulturstaatsminister, dessen Parteifreunde 24 Stunden zuvor den dauerhaften Schutz des „Parlaments der Bäume“ abgelehnt hatten, in einer Pressemitteilung: „Für die Umsetzung seines Projekts gewinnt Ben Wagin mit seiner einzigartigen Mischung aus Charme, Begeisterung und Hartnäckigkeit – so auch mich.“ Eine Würdigung in Worten allein wird jedoch nichts zum dauerhaften Schutz des „Parlaments der Bäume“ beitragen. Oder, um es mit Ben Wagins Worten zu sagen: „Die schwingen immer alle nur große Reden aber wenn es drauf ankommt kneifen sie.“

Es sind nicht schöne Worte, sondern unsere Handlungen, die Veränderungen bewirken. 1990 war der Aktionskünstler Ben Wagin einer, der durch sein Handeln das heutige „Filetstück“ beim Elisabeth-Lüders-Haus künstlerisch verändert hat. Trotz der Euphorie über die Deutsche Wiedervereinigung setzte er sich gegen den Abriss dieses Mauerstücks ein und bewahrte damit einen im Regierungsviertel einzigartigen Erinnerungsort deutscher Geschichte.

In der Zeit der politischen Wende 1989/90, als sich für das Niemandsland des Grenzstreifens keiner verantwortlich fühlte, entstand gegenüber dem Reichstag am Schiffbauerdamm das "Parlament der Bäume gegen Krieg und Gewalt“. Hier verwandelte Ben Wagin ein Reststück der ehemaligen innerstädtischen Grenzmauer zu einem „Erinnerungsgarten“. Es entstand eine kreative Geschichtsoase aus Bildern, Skulpturen, einem Baumhain und Steinplatten mit den eingravierten Namen der über 900 Menschen, die an der innerdeutschen Grenze in den Jahren 1948 bis 1989 getötet wurden.
Außerdem erhält das „Parlament der Bäume“ den Tod tausender Soldaten in Erinnerung, die am Ende des Zweiten Weltkriegs bei der Erstürmung des Reichstags von einer SS-Einheit hinterrücks erschossen wurden. In der Nachkriegszeit wurden hier Kartoffeln angebaut. Den einzig übrig gebliebenen Baum, eine Eiche, will Ben Wagin unter Denkmalschutz stellen.

Ben Wagins Werk ist ein Beispiel für die friedvolle Macht der Kunst, die länger währt als Diktaturen. Das Kunstwerk ist an seinem authentischen Ort einzigartig in der Haltung gegen die Trennung der Stadtteile und ein Mahnmal gegen Krieg und Gewalt und auch ein Mahnmal gegen die Mauern in unseren Köpfen. Das „Parlament der Bäume“ ist eine künstlerische Erinnerungsstätte gegen das Vergessen.

Trotz des Zuspruchs, den Ben Wagin und sein Werk seit seiner Entstehung erfahren, ist das „Parlament der Bäume“ dauerhaft in seiner Existenz bedroht. 2001 mussten von ursprünglich 400 gepflanzten Bäumen 300 für neu entstandene Bundesgebäude weichen, denn das Kunstwerk befindet sich auf Baugrund des Bundes.
Seit Jahren kämpft Ben Wagin dafür, solche Eingriffe in sein Werk für die Zukunft auszuschließen – bislang ohne Erfolg.
Zu Ben Wagnis 80. Geburtstag im März diesen Jahres häuften sich die Lippenbekenntnisse von Politikern, das „Parlament der Bäume“ unter Denkmalschutz stellen zu wollen. Sogar ein Gruppenantrag aller im Bundestag vertretenen Parteien war geplant. Viel Lärm um nichts: Das Zustandekommen des Gruppenantrags scheiterte an den Mehrheiten aus Reihen der CDU/CSU und der SPD.
Wenn es um die verbindliche Zusage zur dauerhaften Unterschutzstellung des Kunstwerkes geht, kneifen die verantwortlichen Politiker. Das hat die schwarz-gelbe Koalition erst letzte Woche mit der Ablehnung unseres grüner Antrags im Kulturausschuss demonstriert. Auch anlässlich des 20. Jahrestages der Deutschen Einheit wird es folglich keinen Denkmalschutz für das „Parlament der Bäume“ geben.  

Das „Parlament der Bäume“ darf keine Baulandreserve und „Gedenkort auf Zeit“ bleiben. Die Bundesregierung muss endlich dafür sorgen, das Grundstück, auf welchem sich das „Parlament der Bäume“ befindet, in Zukunft von der Bauleitplanung auszunehmen und Ben Wagins „Parlament der Bäume“ unter Denkmalschutz zu stellen. Mündliche Versprechungen zur Unterschutzstellung des Kunstwerkes bis 2018 reichen uns nicht. Das „Parlament der Bäume“ muss als Erinnerungsstätte für nachfolgende Generationen erhalten bleiben. Dafür ist eine verbindliche schriftliche Zusage von Seiten der Regierung notwendig.

Andernfalls schweben die Baukräne des Bundes wie ein Damoklesschwert über Ben Wagins „Parlament der Bäume“.

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