Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
15.09.2010

Rede im Plenum

Erste Beratung der Bundesregierung zum Einzelplan 04 des Bundeshaushalts 2011

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar“. Das gilt zunächst für den Rückwärtsgang ins radioaktive Atom-Zeitalter genauso wie für Entstehungsprozesse der Kunst. Um die richtigen Entscheidungen für Mensch und Umwelt zu treffen, brauchen wir Herz und Verstand. Das von Frau Merkel gern zitierte neue Denken meint Erneuerung und nicht das Verharren im technokratischen Systemfehler.

Wir dürfen nicht zulassen, dass uns spätere Generationen auf den Gattungsbegriff „Homo Oeconomicus“ reduzieren, der sein Handeln allein an materieller Bereicherung ausgerichtet hat.

Die schwarz-gelbe Kulturpolitik ist bei der Haushaltsplanung 2011 symptomatisch für eine einseitige Förderung der repräsentativen Materie.

 Allein für die Vorbereitung des Reformationsjubiläums sind im Kulturhaushalt 5 Mio. EUR vorgesehen. Fast doppelt so viel wie für die Künstlerförderung. Das erlaubt die Frage, was denn die Veranstaltung eigentlich insgesamt kosten soll? Das Jubiläum findet ja erst 2017 statt, also in 7 Jahren.

Kulturförderung hat nicht nur mit der Verteilung der Mittel zu tun. Sondern auch mit Ideen. Herr Neumann, wo bleiben Ihre Ideen und Konzepte zur Verbesserung der sozialen Lage von Kulturschaffenden, um die Ausbeutung hochqualifizierter Musiker als Praktikanten und als Honorarlehrkräfte zu beenden. Wo bleibt die Einführung einer Ausstellungsvergütung für bildende Künstlerinnen und Künstler? Wir werden Ihnen in nächster Zeit konkrete Vorschläge machen.

 Die desaströse Haushaltslage vieler Kommunen mit ihren fatalen Folgen für unsere Kulturlandschaft hat Herrn Neumann nicht zu neuen Ideen motiviert. Von Bundesseite gibt es keinerlei Vorschläge, den Kommunen bei der Kulturfinanzierung Unterstützung anzubieten. Unseren Vorschlag, die verfassungskonforme Vergabe von Kulturkrediten über die KfW haben Sie abgelehnt.

Ein weiterer Schwerpunkt des Haushalts liegt auf der Vergabe von Forschungsgeldern. Eine der zahlreichen aktuellen Studien zur Lage der Kulturschaffenden in Deutschland besagt, dass zwei Drittel der Theaterschaffenden und Tänzer unterhalb der Armutsgrenze leben.

 Ein weiterer Schwerpunkt des Haushalts liegt auf der Vergabe von Forschungsgeldern. Eine der zahlreichen aktuellen Studien zur Lage der Kulturschaffenden in Deutschland besagt, dass zwei Drittel der Theaterschaffenden und Tänzer unterhalb der Armutsgrenze leben.

Herr Neumann, wir kennen die alarmierenden Statistiken und Zahlen. Es ist absurd, dafür Forschungsgelder auszugeben, und gleichzeitig bei der Förderung für Künstler zu sparen. Oder sogar Stipendienprogramme ganz zu streichen wie bei der Deutschen Künstlerakademie in Istanbul. Was helfen Statistiken, wenn die Regierung aus den Erkenntnissen keine Konsequenzen zieht? Von Seiten der Regierungsbank fehlt der Mut, in die Kulturlandschaft von morgen zu investieren, in das, was Kunst ausmacht, nämlich „noch nicht“ sichtbar zu sein. Der Mut, das Ideelle zu fördern, die Entstehungsprozesse von Neuem.

Wir haben die Aufgabe, Mittel so zu verteilen, dass sie bei den Menschen ankommen, die durch ihre Kunst unser Land und die Gesellschaft bereichern oder bereichern werden.
Es ist von nationaler Bedeutung, junge Menschen in ihrem eigenen künstlerischen Ausdruck zu bestätigen. Wir fordern ein Konzept zur Stärkung der Jugendkultur, das Jugendliche mit ihren Interessen in den Mittelpunkt stellt – egal ob Hip-Hop, Klassik oder Zirkus.

Denn Kultur hat einen unmittelbaren Einfluss auf unser Denken und Fühlen und damit auf unser Verhalten. Wir müssen endlich anfangen, Kultur mit Bildung und Kunst mit Lernen zu verknüpfen. Kulturpolitik ist auch Integrationspolitik. Aber was ist der Regierung Integration wert? Schwarz-gelb kürzt bei den Mitteln für den Integrationsplan, und zwar ausgerechnet auch bei den Maßnahmen für Integrationsförderung.

Kultur muss beim Thema Integration eine größere Rolle spielen. Gemeinsame kulturelle Aktivitäten geben Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich über alle Sprachgrenzen hinweg in einer gemeinsamen Sprache zu verständigen. Wir brauchen Kultur, damit Ausgrenzung und Gewalt keine Chance haben.

Noch einige Worte zu den Vorgängen um die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht das Recht auf seine eigenen Fakten, auch nicht Frau Steinbach. Wer durch sein Verhalten und unterschwellige Äußerungen ausländische Wissenschaftler, Sinti und Roma und den Zentralrat der Juden aus der Stiftung vertreibt, dient nicht dem Stiftungszweck der Versöhnung.  Wir fordern, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Herren Tölg und Saenger aus dem Stiftungsrat abberufen werden. Außerdem fordern wir ein Moratorium und eine Haushaltssperre, bis geklärt ist, ob diese Stiftung in ihrer jetzigen Form überhaupt noch Sinn macht.

Ich wünsche mir, dass wieder mehr Kulturschaffende Vertrauen in die Politik gewinnen. Denn wir brauchen ihre kreativen Impulse, die Ideen der Querdenker, ihre Interpretationen unserer Gesellschaft in Klängen und Bildern, damit wir das Wesentliche in dieser Welt wieder erkennen können.

Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Aber so viel wissen wir: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.


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