Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
08.07.2010

Rede im Plenum

"Kulturelle Infrastruktur sichern – Substanzerhaltungsprogramm Kultur auflegen" (2. Lesung - zu Protokoll)

Sehr geehrter Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

viele Menschen in unserem Land funktionieren nur noch unter Leistungsdruck und Stress in einem System, an das sie nicht mehr glauben und für das sie sich nicht mehr engagieren wollen oder können. Motivation zur Eigeninitiative und Spaß am Mitgestalten kommen nicht von alleine, sondern können gelernt und vermittelt werden. Zum Beispiel und gerade durch die Kultur, durch kreatives Mitgestalten.
Deswegen ist die Kulturförderung ein notwendiges Element unserer Demokratie. Die Folgen der Finanz-und Wirtschaftskrise belasten die kommunalen Haushalte, eine verfehlte Finanzpolitik schnürt den Kommunen zusätzlich die Luft zur Selbstverwaltung ab. Die kulturelle Teilhabe, die Förderung und die Entfaltung von Kultur, sind massiv bedroht.
Ich halte die momentane Sparwelle im Kulturbetrieb für sehr gefährlich.

Wir befinden uns auf einem sinkenden schwarz-gelben Schiff. Viele Kultureinrichtungen auf diesem Schiff stehen vor dem Ertrinken. Und was macht der „Kultur-Kapitän“ Neumann? Er sieht tatenlos zu und hat keine Rettungsboote für die Kultur parat. Eine Kommission zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung unter Ausschluss der Öffentlichkeit bedeutet keine Rettung für die Kulturbetriebe, weil die konkrete Umsetzung zu lange auf sich warten lässt.
Bauanleitungen für Rettungsboote kommen aus der Opposition.
Zum Beispiel von der SPD: So sehr wir den Vorschlag eines Rettungsschirms für die Kommunen auch begrüßen – für die Kultur auf unserem sinkenden Schiff bedeutet der Antrag der SPD ein durchlöchertes Gummiboot.
Denn die Formulierung „im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten des Bundes“ im Antrag der SPD heißt nichts anderes als: Nichts. Denn der Bund hat zur Kulturfinanzierung kaum Möglichkeiten.
An der Verfassung scheitert auch der Antrag der Linken.
Aber Bauvorschläge für Rettungsboote sind immer noch besser als gar keine Vorschläge, deshalb haben wir uns bei der Abstimmung im Ausschuss für Kultur und Medien zu den Anträgen der SPD und der Linksfraktion enthalten.
Mir kommt es so vor, als würde unser „Kultur-Kapitän“ Neumann angesichts des drohenden Untergangs unserer Kulturlandschaft in Tatenlosigkeit erstarren.

Wir Grünen haben einen realistischen Vorschlag für den Bau eines „Kultur-Rettungsbootes“ ohne Löcher: Die Einführung von „Kulturkrediten“ über ein besonders zinsgünstiges KfW-Programm.
Eine Vergabe von „Kulturkrediten“ über die KfW an die Kommunen wäre verfassungskonform, so könnte der Bund trotz des Kooperationsverbots Unterstützung bei der kommunalen Kulturfinanzierung anbieten.
Viele Kultureinrichtungen haben keine Zeit mehr, auf einen Sinneswandel der Regierung zu warten. Eine langfristige Neuordnung der Gemeindefinanzierung kommt für viele Kulturinstitutionen und Kulturprojekte einfach zu spät.
Unser grüner Vorschlag, „Kulturkredite“ über ein KfW-Sonderprogramm anzubieten, wäre eine kurzfristige Übergangslösung. Die KfW hat bereits Bereitschaft zu dessen Umsetzung signalisiert und vorgeschlagen, wie Kulturförderung für die Kommunen innerhalb eines Programms „Zukunftsfähige Infrastruktur“ berücksichtigt werden könnte: Erstens hat die KfW die Ausdehnung des Förderprogramms „Energieeffizient Bauen und Sanieren“ auf öffentliche Gebäude vorgeschlagen. Dies würde Kultureinrichtungen mit einschließen. Viele Kultureinrichtungen können sich Sanierung und Instandhaltung ihrer Gebäude nicht leisten und müssen schließen, weil die Räumlichkeiten nicht mehr den Funktionsvorschriften entsprechen. Gerade im Hinblick auf nachkommende Generationen müssen Kultureinrichtungen nachhaltig saniert oder gebaut werden, also im Sinne baubiologischer Kriterien, damit sie auch „nach uns noch halten“ – anders als z.B. die Elbphilharmonie das im Moment verspricht. Zweitens würde das Programm der KfW die Einbeziehung von Kultureinrichtungen in eine besonders zinsgünstige Kommunalfinanzierung bedeuten, und zwar für ausgewählte Verwendungszwecke.
Und drittens könnte unser Vorschlag nach Angaben der KfW auch ein Stadtentwicklungsprogramm zur Eigenkapitalfinanzierung von Stadtentwicklungsprogrammen mit einem Schwerpunkt „Berücksichtigung von Kultureinrichtungen in benachteiligten Städten und Stadtteilen“ beinhalten.

Leider hat die Koalition unseren Prüfauftrag abgelehnt und somit die Chance vertan, den Kommunen einen attraktiven Vorschlag zur Kulturfinanzierung als Überbrückungsmaßnahme anzubieten. Wie unser „Kultur-Kapitän“ und seine Mannschaft grundsätzlich zu Hilfestellungen des Bundes bei der Kulturfinanzierung stehen, beweist auch die Antwort der Regierung auf unsere Frage, welche konkreten Maßnahmen die Regierung beabsichtigt, um in ihrer Existenz bedrohte kommunale Kultureinrichtungen von Bundesseite auch kurzfristig zu unterstützen. Die Regierung antwortete: „Mit einer […] „Ausfallförderung“ durch den Bund würden Länder und Kommunen aus ihrer grundsätzlichen Verantwortung für den Kulturbereich entlassen. Dies wäre ein falsches Signal.“
Diese Aussage ist vergleichbar mit einem Schiffskapitän, der seinen Passagieren weder Rettungsringe noch Rettungsboote anbietet, weil er befürchtet, seine Mannschaft könne dadurch das Schwimmen verlernen. Aber die Wellen des Sparzwangs schlagen zu hoch, als dass eine Vielzahl der Kulturinstitutionen ohne Rettungsmaßnahmen darin überleben könnte. Lieber Herr Neumann, bitte überdenken Sie unseren Prüfauftrag, gehen Sie auf die KfW zu oder leiten Sie andere Maßnahmen ein, um Ländern und Kommunen bei der Kulturfinanzierung unter die Arme zu greifen. Aber bitte: Handeln Sie, bevor es zu spät ist und irreversibler Schaden für unsere Kulturlandschaft entsteht!




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