Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
29.09.2011 Haushalt 2012

Grüner Kompass für den Kulturhaushalt 2012

Anlässlich der Haushaltsdebatte im Ausschuss für Kultur und Medien am 28.09.2011, erklärt Agnes Krumwiede, Sprecherin für Kulturpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen:

Unsere Anträge sollen die Defizite im Kulturhaushalt für 2012 aufzeigen und einen grünen kulturpolitischen Kompass skizzieren. Anstelle einer überproportionalen Förderung der Vertriebenenverbände und einer intransparenten und willkürlichen Förderpraxis mit der Begründung „gesamtstaatlicher Bedeutung“ will Grüne Kulturpolitik Strukturen für alle Kunst- und Kulturbereiche gleichberechtigt fördern.

Titel des Kulturhaushaltes, welche direkt die Arbeit von Künstlerinnen und Künstlern fördern, müssen erhöht werden. Dazu gehört auch der Fonds Darstellende Künste, welcher im Moment nur 12-13 % der eingereichten Anträge umsetzen kann. Durch den Fonds Darstellende Künste wird die Arbeit selbstständiger Künstlerinnen und Künstler im Bereich des freien Theater und Tanzes direkt unterstützt. Wir fordern eine deutliche Erhöhung der Mittel für den Fonds Darstellende Künste und des Bundesverbands Freier Theater. Ebenso fordern wir eine Fortführung der Unterstützung für die Stiftung „Tanz – Transition Deutschland“, welche Tänzerinnen und Tänzer auch nach Beendigung ihrer aktiven Karriere beim Übergang in einen neuen Beruf unterstützt.

Ein weiteres Anliegen grüner Kulturpolitik ist, möglichst vielen Menschen unabhängig von ihrer Herkunft und von ihren finanziellen Möglichkeiten künstlerische Aktivität, kulturelle Teilhabe und Vernetzung anbieten zu können. Dafür ist gerade die Soziokultur prädestiniert. In Soziokulturellen Zentren treffen sich Profis und Laien, generations- und spartenübergreifend. Künstlerische Vorkenntnisse sind nicht zwingend erforderlich. Um soziokulturelle Aktivitäten von Bundesseite stärker als bisher unterstützen zu können, for-dern wir eine Erhöhung der Mittel für den Fonds Soziokultur und für die Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren.

Ob Hip-Hop, Rap, Zirkus oder Poetry-Slam – künstlerische Ausdrucksformen der Jugend- und Soziokultur gehören in unserem Kulturverständnis selbstverständlich zu den Förderelementen des Kulturetats. Die Förderung jugendkultureller Ausdrucksformen ist im aktuellen Haushaltsplan des BKM jedoch nicht gleichberechtigt vertreten. Wir fordern die Unterstützung des Archivs der Jugendkulturen, das sich innerhalb eines zweijährigen Forschungsvorhabens mit Methoden zur Prävention des Phänomens menschenfeindlicher Ideologien in Bereichen der Jugendkultur (z.B. „Hassmusik“) auseinandersetzen möchte. Modellprojekte mit Jugendlichen sollen von Forschungsaktivitäten begleitet und Handlungsempfehlungen entwickelt werden.

Die Gleichstellung von Frauen – auch im Kulturbetrieb – zählt zu den elementaren Zielen grüner Politik. Die letzte umfassende Studie des Deutschen Kulturrates zur Situation von Frauen ist über 10 Jahre alt. Aktuelles statistisches Material ist daher dringend notwendig. Deshalb fordern wir Mittel für die Fortsetzung der Studie „Frauen in Kunst und Kultur“ durch den Deutschen Kulturrat.
 
Einige Förderungen im Kulturhaushalt des BKM halten wir zum momentanen Zeitpunkt nicht für gerechtfertigt, bzw. für überproportional.

Wir kritisieren grundsätzlich die intransparente und willkürlich anmutende Förderpraxis des BKM mit der Begründung der „gesamtstaatlichen Bedeutung“. Kulturpolitik allein darf nicht über die Förderwürdigkeit von Kunst und Kultur entscheiden, ein unabhängiges Expertengremium sollte obligatorisch die Entscheidungen mitberaten.

Exemplarisch für die Förderung auf Grundlage „gesamtstaatlicher Bedeutung“ steht die kontinuierliche Förderung der Bayreuther Festspiele. Vor kurzem hat der Bundesrechnungshof auf Empfehlung des Haushaltsausschusses in einem Bericht unter anderem die ausufernden Kartenkontingente kritisiert. Solange Besucher 10 Jahre auf eine Karte warten müssen, bei Premieren nur 16 % der Karten, bei regulären Aufführungen nur 40 %, für die Allgemeinheit verfügbar sind, profitiert von den Wagnerfestspielen nur eine Elite. Wenn bei vom Bund geförderten Kulturveranstaltungen die Eintrittskarte hauptsächlich von der Mitgliedschaft in einem Verein abhängt, ist der gesamtstaatliche Mehrwert nicht mehr gesichert. In der Beantwortung unserer Kleinen Anfrage (BT-Drs. 17/6997) hat der Kulturstaatsminister signalisiert, dass die Kartenkontingentierung auch 2012 weiterhin bestehen bleibt. Dies ist eine Missachtung des Haushaltausschusses des Bundestags und gegenüber den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes. Wenn der Bund fördert, übernimmt er auch eine Verantwortung für die Verwendung der Mittel. Wir fordern daher eine Streichung der Mittel für die Bayreuther Festspiele für das Jahr 2012. Mit unserem Antrag wollen wir nicht die gesamtstaatliche Bedeutung der Bayreuther Festspiele in Frage stellen, sondern deren momentane Konzeption der Ausrichtung. Die Förderung investiver Maßnahmen der Bayreuther Festspiele sind von unserem Antrag explizit nicht betroffen.

Ein weiterer „neuralgischer Punkt“ unserer Anträge betrifft Kürzungen beim § 96 des Bundesvertriebenenfördergesetzes. Bund und Länder haben nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) die Aufgabe, das Kulturgut der aus den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten im östlichen Europa Vertriebenen zu erhalten. Seitdem Bernd Neumann (CDU) im Jahr 2005 das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) übernommen hat, sind die Ausgaben für Kulturförderung im Rahmen des § 96 des Bundesvertriebenengesetzes um mehr als 600.000€ pro Jahr angestiegen. Wir sind gegen diese Erhöhungen und wollen die Förderungen wieder auf den Stand unter rot-grün reduzie-ren. Außerdem fordern wir in unserem Antrag, einige Titelgruppen zu kürzen, um die vorhandenen Doppelstrukturen zu anderen Haushaltstiteln zu beseitigen. Aus den Antworten der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage (BT-Drs. 17/5991) geht hervor, dass seit 1990 zum Erhalt und der Sicherung deutschen Kulturguts im östlichen Europa 253 Projekte zum Substanzerhalt von Gebäuden gefördert wurden. Kein einziges der Renovierungs- und Restaurierungsvorhaben, darunter überwiegend Investitionen in den Substanzerhalt von Kirchen-(Orgeln), Denkmälern und Schlössern im östlichen Europa, betrifft Gebäude, welche der Erinnerungskultur an Deutschstämmige jüdischen Glaubens in den ehemaligen Siedlungsgebieten zuzuordnen sind. Institutionen, welche die Opfergruppen des Nationalsozialismus repräsentieren, wissen größtenteils nicht um die Möglichkeiten dieser Fördermittel. Das führt zu einem Ausschluss der Kulturgüter der über 8 Millionen deutsch- und jiddischsprachiger Juden und Jüdinnen dieser Region vor 1939. Anstatt also Mittel für die Kulturarbeit nach §96 BVFG kontinuierlich zu erhöhen und damit in erster Linie die Vertriebenenorganisationen zu bedienen, sollte der BKM eine Professionalisierung, mehr Transparenz und Information in diesem Bereich anstreben, um in der Förderpraxis allen Opfergruppen im Rahmen der Fördermöglichkeiten des § 96 BVFG gleichermaßen gerecht zu werden.

Außerdem haben wir einen Antrag auf Streichung des Titels und der Mittel für die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ eingereicht. Die als Geschichtsrevisionisten umstrittenen Herren Arnold Tölg und Hartmut Saenger sind als stellvertretende Mitglieder nach wie vor Teil des Stiftungsrates. Dies ist eine der Begründungen dafür, warum der Zentralrat der Juden aus Protest bis heute seine beiden Sitze im Stiftungsrat ruhen lässt. Auch der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma ließ aus Protest seinen Sitz im wissenschaftlichen Beraterkreis der Stiftung ruhen. Bei der Wiederbesetzung des wissenschaftlichen Beirates der Stiftung am 22. November 2010 wurde der Vertreter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma nicht wieder berufen. Diese Entscheidung ist unsensibel und dient nicht dem Stiftungsziel der Aussöhnung, sondern befeuert vielmehr die Ausgrenzung von Roma und Sinti. Unter dem Vorsitz von Kulturstaatsminister Bernd Neumann ist es dem BKM offensichtlich auch im laufenden Haushaltsjahr nicht gelungen, durch eine personelle und inhaltliche Neuausrichtung innerhalb der unselbstständigen Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ endlich ein Klima der Versöhnung und Annäherung zu ermöglichen. Deshalb fordern wir eine Streichung der Mittel und unterstützen perspektivisch die Neugründung einer Stiftung unter neutralen Bedingungen mit dem Ziel der Versöhnung und der Erinne-rung an Flucht und Vertreibung, um den Prozess der Aussöhnung zwischen Deutschen Ver-triebenen und während des Holocausts von Deutschen Vertriebenen, Verfolgten und Ermordeten zukünftig konstruktiver als bisher von Bundesseite begleiten zu können.

Die Änderungsanträge zum Kulturhaushalt können Sie unter den folgenden Links abrufen:

Abstimmungsübersicht der Anträge im Kulturausschuss am 28.09.2011

Änderungsantrag | Fonds Darstellende Künste

Änderungsantrag | Bundesverband Freier Theater

Änderungsantrag | Stiftung "Tanz-Transition Deutschland"

Änderungsantrag | Fonds Soziokultur

Änderungsantrag | Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren

Änderungsantrag | Archiv der Jugendkulturen

Änderungsantrag | Frauen in Kunst und Kultur

Änderungsantrag | Bayreuther Festspiele

Änderungsantrag | §96 Bundesvertriebenenfördergesetz

Änderungsantrag | Stiftung "Flucht, Vertreibung, Versöhnung"

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