Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
01.12.2011 Kulturpolitik

Stellungnahme zum Leitantrag zur Netzpolitik auf der BDK

In den Wochen vor dem Parteitag haben uns viele Protestbriefe von Verbänden, KünstlerInnen und AutorInnen erreicht. Ursache war vor allem eine Passage im Antragsentwurf des Leitantrags zur Netzpolitik. Darin wurde eine Verkürzung der Schutzfristen für UrheberInnen auf fünf Jahre nach Veröffentlichung mit mehrmaliger kostenpflichtiger Verlängerungsoption gefordert.

Bereits im Vorfeld der Bundesdelegiertenkonferenz war klar, dass diese Forderung unhaltbar ist und deshalb gestrichen werden soll. Der Wortlaut der Schutzfristen-Passage, wie er als Kompromiss zwischen Kultur- und Netzpolitik formuliert und durch die Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) verabschiedet wurde, lautet:

„Bei der notwendigen Modernisierung des Urheberrechts befinden wir uns in einem Arbeitsprozess, bei dem wir auch UrheberInnen, KünstlerInnen, VerwerterInnen und NutzerInnen mit einbeziehen und zusammenbringen wollen. In diesem Prozess gilt es, Wege zu erarbeiten, um die Flexibilisierung und Verkürzung der Schutzfristen im Urheberrecht zu erreichen. Dazu wollen wir bis zur Erstellung des Bundestagswahlprogramms Möglichkeiten der Veränderung und Flexibilisierung der gegenwärtig sehr langen urheberrechtlichen Schutzfristen prüfen, um den Zugang und die Nutzung von Werken weiter zu erleichtern. Dabei könnte in einem der zu prüfenden Modelle bspw. Die Schutzfrist auf die Dauer der Lebenszeit der UrheberInnen beschränkt werden.“

Das heißt im Klartext: Eine Festlegung zur Schutzfristthematik wurde vertagt. Die Idee, Schutzfristen auf Lebenszeit zu begrenzen, wird als Prüfauftrag in Erwägung gezogen. Realpolitisch wäre eine solche Lösung im Moment nicht ohne weiteres umsetzbar, denn Deutschland ist Mitglied zahlreicher internationaler Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums, darunter TRIPS (Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistigen Eigentums), 1994, und die Revidierte Berner Übereinkunft RBÜ, 1971. Nach der RBÜ umfasst die Schutzfrist 50 Jahre nach Tod der/des UrheberIn – in Deutschland gelten momentan 70 Jahre. Eine Verkürzung der Schutzfristen nach dem Tod wäre folglich lediglich auf 50 Jahre möglich. Kunst und Literatur entstehen international, deshalb müssen die Rahmenbedingungen kulturellen Schaffens international gelten. Ausländische KünstlerInnen wären in Deutschland nicht mehr präsent, weil in allen anderen Ländern bessere Bedingungen zum Schutz ihrer Werke gelten würden. Für viele sind das Urheberrecht und Schutzfristen zunächst abstrakte Begriffe. Es ist notwendig, die Sachverhalte zu veranschaulichen, beispielsweises beim Thema Schutzfristen nach Tod der/des UrheberIn: Wenn ich ein Haus erbe, darf ich dieses Haus weitervermieten und profitiere von den Mieteinnahmen – und zwar unabhängig davon, ob ich in den Bau dieses Hauses investiert habe oder nicht. Es ist nicht einzusehen, warum Erben, bzw. die von UrheberInnen Begünstigten, nicht auch über einen gewissen Zeitraum „vererbte“ Tantiemen für Werke erhalten sollten.

Der Workshop am Freitag der BDK hat gezeigt, dass es noch viel Diskussionsbedarf zum Thema Urheberrecht und dabei insbesondere zu den Schutzfristen gibt. Ich persönlich bin sehr froh über die Entscheidung, eine Festlegung zu den Schutzfristen zu vertagen. Wir sind noch lange nicht am Ende einer Positionierung zur grünen Gestaltung des digitalen Wandels. Auch was die Kulturflatrate betrifft, sind wir konzeptionell erst am Anfang.

Politische Lösungen zum Interessenausgleich im Internet zu finden ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Nur wenn wir andere Denkperspektiven annehmen, konträre Meinungen akzeptieren und hinterfragen, wird uns als erster Partei der Spagat gelingen, gemeinwohlorientiert die Interessen der NutzerInnen auf Teilhabe an Wissen und Kultur mit dem Schutz der Rechte der UrheberInnen in Einklang zu bringen.

Ein Hauptproblem der momentanen Debattenkultur sehe ich im undifferenzierten Populismus. Hier einige der beliebtesten Polarisierungen: „Wer sich für Urheberrechte einsetzt, will NutzerInnen kriminalisieren“ oder „Wer gegen eine Kulturflatrate ist, will den Überwachungsstaat“ oder „Nutzer wollen alles umsonst und daher den Diebstahl legalisieren“.

Komplexe Herausforderungen benötigen differenzierte Lösungen. Polarisierung in „schwarz und weiß“ müssen wir vermeiden. Ich teile die Meinung von Neelie Kroes, dass das Urheberrecht im Moment als „Hasswort“ begriffen wird. Allerdings glaube ich, nicht das Urheberrecht an sich,  sondern der Missbrauch des Urheberrechts hat dieses in Verruf gebracht. Dazu gehören auch die unverhältnismäßigen Abmahngebühren, als deren Rechtfertigung fälschlicherweise das Urheberrecht missbraucht wird, ohne dass UrheberInnen von diesem parasitären Geschäftsmodell profitieren würden: Das ausufernde „Abmahnunwesen“ ist in erster Linie der Rechtsprechung sowie mangelnder Aufklärung für die VerbraucherInnen geschuldet. Kostenbefreiung bei den ersten beiden Abmahnungen sollte gewährleistet sein. Grundsätzliche Entkriminalisierung durch Legalisierung jeglichen Handelns im Internet dagegen wäre gleichzusetzen mit einer Deregulierung des Internets. Eine Deregulierung der Finanzmärkte haben wir Grünen immer kritisiert, auch im Internet müssen Regeln und Rechte eingehalten werden. Die Durchsetzung von Rechten im digitalen Raum ohne die Beschneidung von Bürgerrechten ist möglich und muss umgesetzt werden. Auch die Rechte von UrheberInnen zählen in meinem Verständnis übrigens zu den Bürgerrechten.

Eine der Reaktionen auf die neuen Vervielfältigungsmöglichkeiten des Buchdrucks war die Entstehung des Urheberrechts. Damals wurde erkannt, dass größere Verbreitungswege von Werken mit neuen Anreizen für die geistigen Schöpfer verbunden sein müssen. Heute stehen wir vor einer vergleichbaren Veränderung. Und wir müssen die gleichen Konsequenzen ziehen: Wenn wir die Möglichkeiten zur Schaffung qualitativ hochwertiger Inhalte in der digitalisierten Welt für nachfolgende Generationen bewahren wollen, müssen wir dringend Wege definieren, damit die Rechte von Künstlern geschützt und neue Anreize für sie gefunden werden.

Kunst muss sich auch im digitalen Zeitalter lohnen! MusikerInnen, AutorInnen und KünstlerInnen sind in den meisten Fällen die Schwächsten in der Verwertungskette der Kreativwirtschaft. Ihre Rechte müssen wir stärken und nicht beschneiden. Denn ohne ihre Inhalte wäre das Internet nichts mehr wert. Die soziale und wirtschaftliche Lage vieler Kulturschaffenden in Deutschland ist prekär: Mehr als 30 % der selbstständig tätigen Kulturschaffenden erreichen kein Jahreseinkommen von 3.900 EUR und haben keine soziale Absicherung, weil das erforderliche Mindestjahreseinkommen der Künstlersozialkasse somit nicht erreicht wird. Wir sind eine Partei, die sich immer auf die Seite der Schwächeren gestellt hat, wir fordern branchenspezifische Mindestlöhne und soziale Mindestabsicherungen. Bei der Gestaltung des digitalen Wandels dürfen wir nicht das Recht von Künstlern auf eine angemessene Entlohnung ihrer Arbeit entkräften.

Qualitative Vielfalt im Internet kann für nachfolgende Generationen nur gewahrt bleiben, wenn wir die Rechte der Urheber künstlerischer Leistungen schützen. Zum Schutz der UrheberInnen muss in erster Linie ihre Position innerhalb des Vertragsrechts gestärkt werden, Buyout-Verträge beispielsweise schwächen die Position der UrheberInnen: Hier wäre die Einführung einer verpflichtenden Klausel sinnvoll, welche eine „Erfolgsgrenze“ festsetzt, ab der eine UrheberIn über die ursprüngliche Bouyout-Vergütung hinaus weitere Ansprüche erhält. Bei Produktionen sollten außerdem eine branchenspezifische Mindestbeteiligung. verpflichtend eingeführt werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Schutz der Persönlichkeitsrechte von UrheberInnen: UrheberInnen müssen selbst entscheiden, ob sie mit der Weiterverarbeitung ihrer Werke einverstanden sind oder nicht.

Die momentane Situation für UrheberInnen wird dadurch verschärft, dass sich im Internet „neue Verwerter“ oder „Vermittler“ etabliert haben, die Inhalte verbreiten, an deren Entstehung sie weder finanziell noch ideell beteiligt waren - ohne in die Künstlerförderung zu investieren. Umso wichtiger ist es, die Akzeptanz für die Daseinsberechtigung von Verlagen und Labels ins Bewusstsein zu bringen und verstärkt Aufklärungsarbeit zu leisten, wie kulturelle, künstlerische und literarische Produktionen entstehen. UrheberInnen brauchen PartnerInnen, auch und gerade im Zeitalter des digitalen Wandels. Das Internet kann keinen Lektor, keinen Manager und Tonmeister ersetzen. Diese Investitionen und die Vergütung der Urheberinnen zukünftig ausschließlich staatlich zu subventionieren, wäre fatal – Kunst und Kultur dürfen nicht hauptsächlich staatlich gelenkt werden.

In diesem Kontext sehe ich auch die Verwertungsgesellschaften in der Pflicht, UrheberInnen stärker als bisher zu fördern und ihre Verwertungsschlüssel entsprechend zu verändern.

Wir benötigen dringend Reformen des Urheberrechts: Insbesondere der rechtlich ungeklärte Umgang mit sogenannten verwaisten und vergriffenen Werken in Deutschland lähmt die digitale Veröffentlichung. Allerdings muss eine rechtliche Klärung nicht mit einer generellen Schutzfristverkürzung einher gehen. Schutzfristen führen nicht zwangsläufig zu einer Unternutzung von Werken – die Möglichkeit der Lizenzierung besteht immer. Eine Vereinfachung der Lizenzierung muss angestrebt werden – auch im Sinne kreativer NutzerInnen, die ihre neuen Werken von bestehenden ableiten wollen. Außerdem wäre eine „Use-it-or-loose-it“- Regelung (analog zum Markenrecht) sinnvoll, welche Lizenznehmer zur öffentlichen Zugänglichmachung verpflichtet. Andernfalls sollten die Nutzungsrechte wieder an den Lizenzgeber/UrheberIn zurück fallen. Eine solche Regelung würde einer Unternutzung vergriffener Werke vorbeugen.
Auch für einige Bereiche, die nicht primär das Internet betreffen, brauchen wir Urheberrechtsreformen, z.B. muss die Rechtslage zum Kopieren von Noten zugunsten der ausführenden InterpretInnen verbessert werden.
Ich freue mich auf die politische Herausforderung, den digitalen Wandel gemeinsam mit grünen Freundinnen und Freunden, KünstlerInnen, AutorInnen und NetzaktivistInnen zu gestalten. Ich bin überzeugt davon, dass grüner Politik die „Quadratur des Kreises“ gelingen und „gemeinwohlorientierte“ Lösungen finden wird, ohne die Rechte von UrheberInnen zu beschneiden.


Abschließend noch ein paar Worte in eigener Sache: In zahlreichen Blog-Einträgen wurde ich als „Urheberrechtsfundamentalistin“ und Lobbyistin für die Verwertungsindustrie bezeichnet. Dies wurde mit meiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Aufsichtsrat der Initiative Musik gGmbH begründet, welche ich vor ein paar Wochen aufgenommen habe. Die Initiative Musik bezuschusst mit ca. 1,7 Mio. EUR Nachwuchsbands und Strukturförderprogramme im Bereich Jugendkultur. Im Aufsichtsrat sitzen neben uns Politikern auch Vertreter der Gema und der Musikindustrie. Im Aufsichtsrat der Initiative Musik befinden sich Mitglieder aller im Bundestag vertretenden Parteien – mit Ausnahme der Partei „Die Linke“. Ich bin dort nicht nur die einzige Vertreterin von Bündnis 90/Die Grünen, sondern auch die einzige Frau. Ich finde es gut, dass mit mir auch „grüne“ und weibliche Augen Einfluss darauf nehmen dürfen, was mit den Bundesmitteln für die Initiative Musik geschieht. In meiner politischen Haltung und auch, was das Urheberrecht betrifft, bin ich nicht beeinflussbar. Ich bin Grüne und Musikerin.
Die Musik ist ein ebenso fester Bestandteil meines Lebens wie die Grünen. Deshalb, und garantiert nicht wegen der Initiative Musik, kann ich gar nicht anders, als mich weiterhin mit all meiner Energie dafür einzusetzen, dass die Perspektive der AutorInnen, KünstlerInnen und Kreativen verstanden und bei allen Entscheidungen rund um das Internet mit berücksichtigt wird.

Stellungnahme zum Leitantrag zur Netzpolitik auf der BDK (pdf)

Ein Interview zum Thema "Der Wert kultureller Inhalte ist oft höher als ihr Preis", erschienen im Börsenblatt, finden Sie hier.

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