Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
06.06.2013 Rede im Plenum

Rede zu Verwaisten Werken

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

nach Schätzungen der Deutschen Nationalbibliothek betrifft der Anteil an verwaisten Werken 30 – 50 % ihres Bestandes. Bei der British Library sind es ungefähr 40%. Wir reden also über eine beachtliche Zahl von Werken, die aufgrund der urheberrechtlichen Unsicherheit momentan nicht der Öffentlichkeit in elektronischer Form zugänglich gemacht werden können.
Mehrfach haben wir die Bundesregierung in der laufenden Legislaturperiode aufgefordert, endlich eine Regelung für den Umgang mit verwaisten und vergriffenen Werken zu finden und haben dazu zwei Anträge vorgelegt. Nun soll eine entsprechende EU-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden.

Was die rechtlichen Regelungen zur Nutzung verwaister Werke betrifft, schafft die Bundesregierung im vorliegenden Gesetzentwurf Rechtssicherheit für die betreffenden digitalisierenden Institutionen. Wie jedoch das Problem der angemessenen Vergütung für die Rechteinhaber gelöst werden kann, die möglicherweise nach der Veröffentlichung auftreten, - bei dieser entscheidenden Frage lässt die Bundesregierung die nutzenden Institutionen im Regen stehen. Gemäß der EU-Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten selbst festlegen, wie die Umstände dieser Zahlung erfolgen und zu welchem Zeitpunkt. Die Bundesregierung aber legt gar nichts fest, sondern schiebt hier die ganze Verantwortung ab auf die nutzenden Institutionen: Diese müssen – wenn es nach dem vorliegenden Gesetzentwurf geht – zeitlich unbefristet Kosten für eine mögliche Ausschüttung an Rechteinhaber einkalkulieren- und gegebenenfalls ausschütten. Das bedeutet nicht nur einen unverhältnismäßigen bürokratischen Aufwand für die Institutionen. Unklar bleibt auch, woher sie diese Mittel nehmen sollen. Denn die gesetzlich für zulässig erklärte Nutzung darf laut EU-Richtlinie nur im Interesse des Gemeinwohls erfolgen, nicht zu kommerziellen Zwecken. Offensichtlich war die Bundesregierung nicht in der Lage, für dieses Problem eine praxistaugliche Lösung zu finden. In unseren Anträgen haben wir deutlich gemacht wie die Ausschüttung und die Verwaltung von Vergütungsansprüchen für nachträglich auftretende Rechteinhaber geregelt werden sollte. Eine neu zu gründende und von den Verwertungsgesellschaften gemeinsam verwaltete Zentralstelle sollte - ähnlich der Zentralstelle Bibliothekstantieme (ZBT) - für die Verwaltung und für die Zurückstellung der nicht vermittelbaren Einnahmen zuständig sein. Der Anspruch auf eine angemessene Vergütung muss auf fünf Jahre ab Veröffentlichung begrenzt werden. Die Mittel, die nicht ausgeschüttet werden, sollten nach Ablauf der Frist an die Sozialwerke der Verwertungsgesellschaft gehen.

Auch was den Umgang mit vergriffenen Werken betrifft, bietet der Gesetzentwurf unserer Ansicht nach keine befriedigende Lösung. Es wird zwar Rechtssicherheit im Umgang mit vergriffenen Werken geschaffen, die vor 1966 veröffentlicht wurden. Aber es fehlt eine Regelung, um zukünftig einer Unternutzung von Werken vorzubeugen. Wir fordern die Verankerung einer „Use-It-Or-Loose-It“ Regelung im Urheberrecht, die übertragene Werkrechte mit deren obligatorischer kommerzieller oder nicht- kommerzieller Verbreitung verbindet. Damit würde nicht nur einer Unternutzung von vergriffenen Werken vorgebeugt, sondern auch sichergestellt, dass Nutzungsrechte automatisch wieder an den Urheber oder Lizenzgeber zurückfallen, wenn Werke nicht innerhalb einer angemessenen Frist verfügbar gemacht wurden.

Auch für die Einführung eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechtes für öffentlich finanzierte, wissenschaftliche Autorinnen und Autoren enthält der vorliegende Gesetzentwurf Regelungen. Bereits 2011 hat meine Fraktion einen Antrag zu diesem Thema vorgelegt. Seitdem ist ein großer gesellschaftlicher Konsens in diesem Bereich zustande gekommen: Wissenschaft und Politik sind sich weitgehend einig, dass und wie ein unabdingbares Zweitveröffentlichungsrecht eingeführt und ausgestaltet werden muss. Ziel des Rechtes ist es, die Rechtssicherheit beim Open Access-Publizieren im sogenannten „grünen Weg“ herzustellen. Dadurch können wissenschaftliche Autorinnen und Autoren, deren Forschung und Lehre mit öffentlichen Mitteln finanziert wurden, ihre Publikationen rechtssicher nach einer angemessenen Frist im Sinne des Open-Access-Prinzips frei zugänglich machen. Dass sich das Justizministerium mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gegen den öffentlichen Konsens in diesem Bereich stellt, ist schon bemerkenswert. So sollen zum Beispiel Publikationen der Hochschulforschung von dem Zweitveröffentlichungsrecht ausgeschlossen werden, sofern diese nicht drittmittelfinanziert sind. Die Bundesregierung schafft– ohne sachliche Grundlage – zweierlei Recht beim wissenschaftlichen Publizieren. Eine Anpassung des Gesetzentwurfes in den anstehenden Ausschussberatungen, gemäß der Stellungnahme des Bundesrates (265/13) und der Position der Kultusministerkonferenz sowie der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen – und natürlich gemäß unseres Antrages von 2011– ist dringend notwendig.

Leider ist Ihnen, liebe Koalition, wie so häufig in dieser Wahlperiode, anscheinend vor dem Ziel die Puste ausgegangen; denn die Einführung eines unabdingbaren Zweitveröffentlichungsrechtes ist kein Ersatz für das 2009 im Koalitionsvertrag von Ihnen angekündigte „Dritte Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“. Zahlreiche weitere Änderungen im UrhG zugunsten von Wissenschaft und Bildung sind dringend notwendig.

zurück

Navigation