Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
16.08.2012 Entwurf des Jahressteuergesetzes 2013

Unkonkret und widersprüchlich: Stellungnahme zur befürchteten Umsatzsteuerpflicht für Musik-, Tanz- und Ballettschulen

Anlässlich des Referentenentwurfs zum Jahressteuergesetz 2013 erklärt Agnes Krumwiede MdB, Sprecherin für Kulturpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen:

Zahlreichen Pressemeldungen und Reaktionen von Betroffenen der letzten Zeit ist zu entnehmen, dass der Finanzminister in seinem aktuellen Entwurf des Jahressteuergesetz 2013 plant, die Umsatzsteuerbefreiung für private Angebote in Bereichen der kulturellen Bildung aufzuheben. Eltern und Lehrkräfte befürchten, dass sich die Mehrbelastung von 19% auf Unterrichtspreise und auf Honorare für Lehrkräfte auswirken könnte. Leidtragende wären Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen und sozial benachteiligten Familien, die sich Mehrkosten für Musik- und Tanzunterricht nicht leisten können. Auch die Lehrkräfte an privaten Tanz-und Musikschulen könnten die Auswirkungen zu spüren bekommen, wenn aufgrund der Mehrbelastung Honorare gekürzt werden müssten. Dies würde ausgerechnet jene Berufsgruppen betreffen, die mehrheitlich zu den Geringverdienern unserer Gesellschaft zählen – oftmals trotz hoher beruflicher Qualifikation. Lehrkräfte an privaten kulturellen Einrichtungen arbeiten überwiegend auf Honorarbasis, das durchschnittliche Jahreseinkommen für Instrumentallehrkräfte beispielsweise beträgt 12.000 EUR.
 
Die Verunsicherung ist groß. Denn der entsprechende Absatz im Entwurf des Jahressteuergesetzes ist unkonkret und widersprüchlich formuliert. Steuerfrei bleiben sollen Einrichtungen, deren „Leistungen der Einrichtung geeignet sind, dem Teilnehmer spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln.“ Damit meint das Bundesfinanzministerium u.a. den Schul- und Hochschulunterricht sowie Einrichtungen, die der „Aus- und Fortbildung“ dienen. Folgende Einschränkung jedoch wird getroffen: „Nicht befreit sind Leistungen, die der reinen Freizeitgestaltung dienen.“ Das bedeutet: Wenn private Musik, Tanz- und Ballettschulen einzig und allein der „reinen Freizeitgestaltung“ dienen, sollen diese zukünftig von der Umsatzsteuerpflicht betroffen sein. Wer selbst einmal in seiner Freizeit Tanz- oder Musikunterricht erhalten hat, weiß: Fähigkeiten des Musizierens oder Tanzens zu erwerben, ist eine Freizeitbeschäftigung, die selbstverständlich auf das Erlernen spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten ausgelegt ist. Ob jemand die wöchentlichen Unterrichtseinheiten als "reine" Freizeitbeschäftigung ohne jeglichen Lerneffekt erachtet, ist eine subjektive Einschätzung. Es gibt jedenfalls keine Tanz-Ballett oder Musikschule, deren Selbstverständnis darauf beruht, keinerlei Kenntnisse zu vermitteln.

Hinzu kommt ein weiterer Aspekt zur Bedeutung von Tanz- und Musikschulen: Der Ergebnisbericht des Nationalen Bildungsberichtes mit dem diesjährigen Schwerpunkt auf die musisch-ästhetische Bildung lässt erahnen, dass es um die kulturelle Bildung im schulischen Rahmen nicht zum Besten steht: „Die Bearbeitung dieses Schwerpunktthemas war mit einer Reihe von Schwierigkeiten verbunden, zu denen […] eine unbefriedigende Datenlage zählen.“ Der Deutsche Musikrat bemängelt in seiner Analyse des Bildungsberichtes die „nach wie vor unbefriedigende Situation der Bildungs- und Kulturstatistik. Valides Zahlenmaterial über ausfallenden oder fachfremd erteilten Musikunterricht gibt es nicht.“  Dass die Bundesländer sich bei den Erhebungen für den Nationalen Bildungsbericht über tatsächlich abgehaltene Schulstunden musisch-ästhetischer Bildungsinhalte offenbar äußerst bedeckt gehalten haben, lässt den Rückschluss auf eine wenig positive Bilanz zu. Die Vermutung liegt nahe, dass private und öffentliche Einrichtungen im Bereich kulturelle Bildung für viele Kinder und Jugendliche das Defizit an entsprechenden schulischen Angeboten ausgleichen. Demzufolge leisten alle Musik-, Tanz- und Ballettschulen eine existenzielle Leistung der „Aus- und Fortbildung“ in künstlerischen Inhalten, die im deutschen Bildungssystem oft zu kurz kommen.

Von kulturellen Bildungsangeboten privater wie öffentlicher Einrichtungen profitiert jedoch unsere Gesellschaft generationsübergreifend: Musik- und Tanzschulen vermelden einen konstanten Zuwachs an Rentnerinnen und Rentnern, die ihre Zeit nach der Berufstätigkeit für die musische Weiterbildung nutzen wollen. Private Musikschulen bieten dabei für viele eine Alternative zu den städtischen Musikschulen, die mit aktuell 100.000 Plätzen auf den Wartelisten bundesweit den Bedarf ohnehin nicht decken können. Im Bereich der Tanz- und Ballettschulen gibt es in den allermeisten Regionen gar keine öffentlich finanzierte Alternative zu den privaten Angeboten.

Die positiven Auswirkungen künstlerischer Aktivität auf Menschen jeden Alters sind hinrei-chend belegt. Für viele Menschen ist das Erlernen eines Instrumentes oder ästhetischer kör-perlicher Ausdrucksfähigkeiten weit mehr als eine reine Freizeitbeschäftigung. Mit der wö-chentlichen Unterrichtseinheit allein ist kein Lernerfolg verbunden, kontinuierliches Training als fester Bestandteil des Alltags gehört dazu. „Früh übt sich, wer ein Meister werden will“ gilt für künstlerische ebenso wie für sportliche Leistungen in besonderem Maß. Künstlerische Leistungen verdienen mehr Wertschätzung als die Einstufung in den Hobby-und Freizeit-Bereich!

Anstatt endlich die vielfältigen Ausbildungsstätten im kulturellen Bereich zu stärken und für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen auch für die privaten Anbieter zu sorgen, stürzen die Pläne im Referentenentwurf zum Jahressteuergesetz den ohnehin oftmals politisch „stiefväterlich“ behandelten Bereich der kulturellen Bildung in Verwirrung und lassen Spielraum für Existenzängste der Betroffenen. Der gesamte Absatz im Entwurf zum Jahressteuergesetz lässt Zweifel aufkommen, ob das Bundesfinanzministerium ausreichend Kenntnis über die Erwerbsrealität künstlerischer privater Bildungseinrichtungen besitzt, darunter beispielsweise auch folgende Formulierung: „Erbringt eine (andere) Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung Leistungen …, die auch der Freizeitgestaltung dienen können, sind diese nur dann befreit, wenn die Einrichtung keine systematische Gewinnerzielung anstrebt und etwaige Gewinne, die trotzdem anfallen, nicht entnommen, sondern zur Erhaltung oder Verbesserung der erbrachten Leistung verwendet werden.“
Die meisten privaten Musik-, Tanz- und Ballettschulen verfolgen nicht das Ziel einer „systematischen Gewinnerzielung“, sondern arbeiten allerhöchstens deckungsgerecht. In der Regel müssen durch die Unterrichtsgebühren eine Vielzahl von Ausgaben finanziert werden. An erster Stelle die Gehälter der Lehrkräfte. Darüber hinaus fallen diverse Kosten an, die „in den Erhalt oder die Verbesserung der erbrachten Leistung verwendet werden“, in der Regel für: Miet- und Nebenkosten für Unterrichtsräume, Erwerb von Instrumenten sowie deren Pflege, Musikanlage (Tanzschulen), Abführungen an die Künstlersozialkasse, GEMA-Gebühren, Noten, Werbematerial etc. ... Wer sich durch die Leitung einer privaten Tanz- oder Musikschule eine „systematische Gewinnerzielung“ verspricht und dahingehend Preise für Unterrichtseinheiten festlegt, dürfte enttäuscht werden. Denn die allermeisten Eltern und erwachsenen Schülerinnen und Schüler sind langfristig nicht bereit, über ein angemessenes „Preis-Leistungsverhältnis“ der Qualität des Unterrichtsangebotes hinaus in die musische Erziehung zu investieren.

Zusammengefasst lässt der besagte Absatz im Entwurf des Jahressteuergesetz 2013 folgende Schussfolgerungen zu: Ob private Musik-, Tanz- und Ballettschulen überhaupt von der Umsatzsteuerpflicht betroffen wären, ist angesichts der widersprüchlichen Formulierungen ungewiss. Ich habe mich deshalb mit dieser Fragestellung in einem Brief an den Bundesfinanzminister gewendet und werde über die Antwort berichten. Sollten aufgrund der Interpretation von Tanz- und Musikstunden als „reine Freizeitgestaltung“ seitens des Finanzministeriums tatsächlich private Musik-, Tanz- und Ballettschulen betroffen sein, ergäbe sich aus kulturpolitischer Sicht folgende Beurteilung:
 
Ausgerechnet bei der kulturellen Bildung den „Steuer-Rotstift“ anzusetzen, sorgt nicht für mehr Steuergerechtigkeit, sondern benachteiligt direkt oder indirekt Menschen, die sich künstlerisch weiterbilden wollen. Damit würde der Bundesfinanzminister die kulturellen Bedürfnisse vieler Mitglieder unserer Gesellschaft ignorieren.
Ob tatsächlich Mehreinnahmen für den Staatshaushalt zu erwarten wären, ist darüber hinaus mehr als fraglich. Es ist zu befürchten, dass durch die Einführung einer Umsatzsteuerpflicht einige private Tanz-Ballett-und Musikschulen in ihrer Existenz bedroht wären.

Die Grüne Bundestagsfraktion hat sich im Beschluss „Umsatzsteuer gerecht gestalten“ vom 6. Juli 2010 darauf verständigt, die Kultur mit Verweis auf ihren gesellschaftlichen Mehrwert von Reformvorschlägen im Bereich der Umsatzsteuer auszunehmen. Einen gesellschaftlichen Mehrwert erfüllen staatliche gleichermaßen wie private Einrichtungen der kulturellen Bildung.

Ich fordere daher den Bundesfinanzminister auf, den Referentenentwurf zum Jahressteuergesetz zu überarbeiten, die offenen Fragen zu klären und gegebenenfalls die Änderung zur Umsatzsteuerpflicht im § 4 Nr. 21 UStG rückgängig zu machen.

Die Stellungnahme können Sie hier als PDF herunterladen.

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