Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
12.07.2012 Kulturfinanzierung

Stellungnahme zur geplanten „Kunst-Rochade“ der Alten und Neuen Meister

Anlässlich der im Nachtragshaushalt für 2012 genehmigten Umgestaltung der Berliner Gemäldegalerie zu einer Galerie des 20. Jahrhunderts erklärt Agnes Krumwiede MdB, Sprecherin für Kulturpolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen:

Für die Umgestaltung der Berliner Gemäldegalerie wurden im Nachtragshaushalt des BKM für 2012 zehn Millionen Euro bewilligt. In der Gemäldegalerie soll zukünftig unter anderem die Sammlung von Kunstwerken des 20. Jahrhunderts aus dem Privatbesitz der Familie Pietzsch untergebracht werden. Das Kunstsammlerehepaar stellt für die Schenkung die Bedingung, ihre über Jahrzehnte erworbenen Kunstwerke vollständig und im Kontext mit anderen Werken des 20. Jahrhunderts auszustellen. Die Alten Meister, die sich zur Zeit in der Gemäldegalerie befinden, sollen auf die Museumsinsel umziehen und Platz machen für die Neuen Meister. Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, weist in einem Interview mit der NZZ vom 29. 06. 2012 darauf hin, dass die Moderne bisher kein angemessenes Haus in Berlin besitze, „mit der Sammlung der Neuen Nationalgalerie, dazu den 150 Werken des Surrealismus und des abstrakten Expressionismus aus der Sammlung Pietzsch sowie der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus der Sammlung Marx, die derzeit noch im Hamburger Bahnhof zu sehen ist“ soll das jetzige Gebäude der Gemäldegalerie am Kulturforum nach Wegzug der Alten Meister zur „Galerie des 20. Jahrhunderts“ werden. Mit den 10 Millionen aus dem Nachtragshaushalt hat der BKM somit de facto nicht nur eine Herberge für die Sammlung Pietzsch organisiert, sondern auch den Vorstoß gewagt, die benötigten 150 Mio. EUR für den Neubau einer Gemäldegalerie auf der Museumsinsel zu „zementieren“.

In Berlin und in der Fachpresse tobt deshalb jetzt ein „Kulturkampf Alt gegen Neu“: Die Sammlung der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum ist seit einigen Jahren nur in Ausschnitten für die Öffentlichkeit zugänglich, ein Großteil der Kunstwerke lagert in Depots. Dies würde sich durch eine „Galerie des 20. Jahrhunderts“ ändern. Bis jedoch die Alten Meister in ihrer Vollständigkeit auf der Museumsinsel gezeigt werden könnten, würde eine lange Übergangszeit vergehen – erst „deutlich nach 2018“ schreibt der BKM in einer Erklärung, solle mit den 150 Millionen Euro ein zweites Gebäude gegenüber dem Bode-Museum entstehen, um Raum zu schaffen für die gesamten Werke der Alten Meister. In der Zwischenzeit würde nur eine kleine Auswahl im Bode-Museum zu sehen sein, bis der Erweiterungsbau die Ausstellungsfläche verdoppelt hat. Auch das Kronprinzen- und Kronprinzessinnenpalais als Übergang für einen Teil der Alten Meister sind im Gespräch. Hermann Parzinger ist optimistisch und davon überzeugt, dass „die alten Meister die großen Gewinner“ dieser „Kunst-Rochade“ sein werden. Angesichts der Tatsache, dass ein Teil der Alten Meister über Jahre den Augen der Öffentlichkeit verschlossen bleiben wird, klingt das nach leerem Wunschdenken. Da können auch Parzingers Beschwichtigungen, dass „der Verlust sich in Grenzen halten“ würde, da ja nicht alle Werke „erstklassig“ seien, wenig beruhigen. Die Werke der Alten Meister wirken in ihrer eindrucksvollen Gesamtheit - wer will darüber entscheiden, welche Werke „weniger erstklassig“ sind als andere und in den Depots verschwinden müssen?! Die Alten Meister Berlins gehören in ihrer enzyklopädisch ausgestellten Vielfalt zu einer der weltweit größten Sammlungen. Von vielen Seiten regt sich nun Widerstand gegen die Pläne des Kulturstaatsministers.

Berlin soll in nächster Zeit durch einen neuen Flughafen, einen Autobahnausbau und durch ein Stadtschloss mit Großbauprojekten bestückt werden. Es ist mehr als fraglich, dass in Zeiten von Sparzwängen und drohender Währungskrise bei der Bevölkerung ebenso wie bei den Abgeordneten mehrheitliche Akzeptanz für eine Bewilligung der 150 Mio. EUR für den Neubau einer Gemäldegalerie auf der Museumsinsel vorhanden sein wird. Der Verdacht drängt sich auf, dass der Kulturstaatsminister Bernd Neumann aus Verbundenheit mit dem Ehepaar Pietzsch und deren Schenkungsabsichten einen strategischen Fehler begangen hat – zu Lasten der Alten Meister. Ohne die Konsequenzen transparent zu thematisieren, hat er den letzten Schritt vor dem ersten gesetzt, indem die 10 Millionen EUR für die neue Herberge der Pietzsch-Sammlung gesichert wurden. In der Kulturausschusssitzung vom 27. Juni 2012 wurden die Abgeordneten lediglich über den Sachstand informiert, eine ausführliche Aussprache zum Thema hat nicht stattgefunden. Die 10 Millionen Euro waren zuvor schon im Haushaltsausschuss bewilligt worden.

Erst vor 20 Jahren wurde die Gemäldegalerie erbaut, die Innenräume in einem stilistischen Ambiente, um die Schönheit der Alten Meister zur Geltung zu bringen. Die Alten Meister lassen sich nicht so einfach „verpflanzen“, genauso wenig wie sich Neue Kunst beliebig in Räume pressen lässt. Anstatt die Alten Meister zu „entwurzeln“, sollten zunächst unterschiedliche und eventuell sparsamere Optionen gemeinsam mit den Abgeordneten des Kultur- und Haushaltsausschusses, mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sowie Vertre-terinnen und Vertretern der Kunst- und Kulturszene neu beraten werden. Berlin benötigt eine perfekte „Rochade“, eine Lösung sowohl für die „Galerie des 20. Jahrhunderts“ als auch für die Alten Meister - ohne dem Museumspublikum über Jahre hinweg Kunstwerke vorzuenthalten.

So bereitwillig der Kulturstaatsminister um die Millionen für Ausstellungsräume großer Kunstwerke kämpft, sollte er sich gleichermaßen einsetzen für eine Ausstellungszahlung an Bildende Künstlerinnen und Künstler. Künstlerförderung ist für nachfolgende Generationen genauso wichtig wie Investitionen in die öffentliche Zugänglichmachung von Kunst. Und bevor keine angemessene Heimat für die Alten Meister erbaut wurde, sollte die „Kunst-Rochade“ zwischen Alt und Neu ohnehin nicht in die Tat umgesetzt werden. König und Turm rochieren in einem Zug.

Die Stellungnahme können Sie hier als PDF herunterladen.

Meine Pressemitteilung zum Thema können sie hier herunterladen.

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