Agnes Krumwiede
Kunst und Politik
13.09.2012

Laudiato von Agnes Krumwiede zur Verleihung des Politik & Kultur-Journalistenpreises 2012

"Halbmond über Köln" von Gerhard Schick und Birgit Schulz, ausgestrahlt von WDR/ARTE, wurde als beste Fernsehreportage ausgezeichnet

Das Autorenteam Gerhard Schick und Birgit Schulz erzählt in ihrem Dokumentarfilm die Vorgeschichte um den Bau der großen Moschee in Köln Ehrenfeld. Es ist eine Geschichte über Muslime in Deutschland, über die Angst vor dem Fremden. Der Zuschauer blickt in menschliche Abgründe, die in der Diskussion um die Moschee an die Oberfläche gespült werden. Eindringlichkeit und Spannung erzeugt dieser Beitrag des WDR durch eine scheinbar unparteiische und distanzierte Darstellung von Meinungen und Stimmungsbildern.

Widersprüche werden subtil in frappierender Klarheit aufgedeckt: Ein Werbebanner „kulinarische Köstlichkeiten aus der Türkei“ direkt neben einem Plakat der rechtsextremen Gruppe „Pro Köln“, das eine durchgestrichene Moschee zeigt.  Während Ralph Giordano im O-Ton über das Scheitern der kollektiven Integration philosophiert, hält die Kamera Alltagsmomente aus dem Stadtteil Ehrenfeld fest: Bunte türkische  Geschäfte, muslimische Bürgerinnen und Bürger auf den Straßen- darunter zwei türkische Mädchen. Ohne Kopftuch. Es geht um zentrale Fragen des Miteinanders unterschiedlicher Kulturen und Religionen: Wie viel Integration ist notwendig? Ist vollständige Assimilation überhaupt ein erstrebenswertes Ziel?

Im Filmbeitrag gibt es Sequenzen, die eine Vision gelungener Integration als Koexistenz der Kulturen andeuten. Ohne die Augen zu verschließen vor den jeweiligen Schattenseiten. Aber wie kann eine Gesellschaft lernen, das Fremde auszuhalten ohne Andersartigkeit als Bedrohung zu empfinden?!
Ein Handlungsstrang beleuchtet die Aktionen und Argumentationen der rechtsextremen Gruppe Pro Köln: Um den Bau der Moschee zu verhindern, bedient sich Pro Köln eines Bürgerentscheids. Auch Ralph Giordanos Äußerungen werden benutzt– schließlich sei der ja ebenfalls der Ansicht, es gäbe kein Grundrecht auf eine Großmoschee. Im O-Ton eines türkischen Mädchens wird die Hysterie des Konflikts auf eine einfache Wahrheit heruntergebrochen, sie sagt: „Neben der großen Synagoge, dem Dom, ist es doch schön, wenn es in Köln auch etwas von der muslimischen Seite zu bewundern gibt.“

Aber genau das will der rechte Mob in Köln-Ehrenfeld nicht und natürlich geht es um viel mehr als um den Bau eines Religionshauses. Die Angst vor der Entfremdung äußert sich in Aggression, Ehrenfeld wird zum internationalen Aufmarschgebiet rechtsextremer Gruppen –im Film begleiten Klänge eines Strauß-Walzers und Ausschnitte aus Carmina Burana das bedrohliche Treiben.
Der Bezirksbürgermeister stapelt vor der Kamera Aktenberge mit wutentbrannten Bürgerbriefen. Als Befürworter der Moschee sollte er eigentlich wegen Nationalverrat zum Tod verurteilt werden – schreibt einer.

Aber die schauerliche Dokumentation dumpfer Gesinnungen ist nur ein Aspekt dieses facettenreichen Beitrags: Eine Sequenz thematisiert, welche Bedeutung eine Moschee gerade für die Frauen der muslimischen Gesellschaft hat. Kein Ehemann kann einer Frau verbieten, in die Moschee zu gehen, erklärt eine junge Muslima. Die Moschee ist nicht nur ein Ort der Religion, sondern auch ein Bildungsstandort, zum Lernen der deutschen Sprache beispielsweise und ein sozialer Treffpunkt. Friedliches Miteinander und Kennenlernen anderer Kulturen und Religionen braucht Raum. Diesen Raum hat in Köln-Ehrenfeld Paul Böhm gestaltet, der Architekt der Moschee. Was aufgrund von Vorurteilen in der Gesellschaft nicht erreicht werden kann, kann vielleicht in der Moschee gelingen. Jedenfalls, so Architekt Paul Böhm, sollten Gläubige ihrer Religion nicht in unwürdiger Behausung nachgehen. Die neue Moschee kann den Muslimen neues Selbstwertgefühl geben.

Dieser Film bleibt in Erinnerung. Er hinterlässt ein schales Gefühl. Denn er beleuchtet schonungslos die braunen Flecken in den Köpfen unter uns. Spätestens die NSU-Morde haben uns wieder brutal daran erinnert, dass Worten und Marktgepöbel der Menschenfeindlichkeit grausame Taten folgen können. Gerhard Schick und Birgit Schulz ist es gelungen, Statements von Gegnern der Kölner Moschee vor der Kamera einzufangen, die in ihrer entlarvenden Direktheit erschüttern. Nicht nur Mitglieder von Pro Köln sind es, die ihre Ressentiments vor der Kamera offenbaren. Es sind einfache Leute aus Köln Ehrenfeld, die sagen: „DIE wollen sich nicht integrieren.“ Oder – an ihre muslimischen Mitbürger gerichtet: „Was tut IHR fürs deutsche Volk?!“

Ralph Giordano als zentrale Figur des Konflikts äußert Verständnis für die Ausprägungen des deutschen Schuldbewusstseins. Mit dem deutschen Schuldbewusstsein- O-Ton Giordano- fällt es schwer, sich zu wehren gegen Kräfte von Außen. Giordano sagt auch: Hitler ist militärisch geschlagen, aber nicht geistig.

Der Filmbeitrag von Gerhard Schick und Birgit Schulz leistet einen Beitrag, Hitler geistig zu schlagen. Er schafft durch die subtile und authentische Erzählweise Verständnis für Muslime in Deutschland. Albert Camus hat gesagt:

„Wir wissen, dass es auf der Welt Täter und Opfer gibt und wir müssen alles tun, um nicht auf der Seite der Täter zu stehen.“

Dieser Film gibt der anonymen Masse rechtsextremer Tendenzen Gesichter. Wer ihre Aussagen hört, möchte alles unternehmen, damit sie niemals wieder das Sagen bekommen in unserem Land.

Ein guter, ein wichtiger Film, alle sollten ihn sehen.

Herzlichen Glückwunsch Gerhard Schick und Birgit Schulz

Agnes Krumwiede ist Mitglied der Jury für den PUK Journalistenpreis

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